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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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Gerald hervor, bevor er noch die Tür zur Lounge ganz geöffnet hatte. Er war nun entschlossen, diesen Ort zu verlassen, komme, was da wolle. Als Ausrede mochte herhalten, daß man hier unmöglich Schlaf finden konnte.
    »Ich glaube nicht, daß Mrs. Pascoe darüber mehr weiß als wir«, äußerte sich Phrynne.
    »Sie hätten uns über diese ... dieses jährliche Ereignis unterrichten müssen, bevor Sie unsere Buchung annahmen.«
    Mrs. Pascoe schlürfte weiter ihren Whisky. Gerald hatte den Verdacht, daß er pur war. »Es ist nicht immer dieselbe Nacht«, sagte sie heiser und stierte auf den Fußboden.
    »Wir bleiben jedenfalls nicht«, erklärte Gerald wild entschlossen.
    »Liebling!« Phrynne ergriff seinen Arm.
    »Überlaß das mir, Phrynne.« Er wandte sich an Mrs. Pascoe. »Wir werden das Zimmer selbstverständlich bezahlen. Bitte lassen Sie mir einen Wagen kommen.«
    Mrs. Pascoe betrachtete ihn mit steinerner Miene. Als er den Wagen bestellte, lachte sie abgehackt. Dann wechselte ihr Gesichtsausdruck, sie beherrschte sich und sagte: »Sie dürfen den Kommandanten nicht zu ernst nehmen, wissen Sie.«
    Phrynne warf ihrem Mann einen schnellen Blick zu.
    Der Whisky war ausgetrunken. Mrs. Pascoe stellte das leere Glas mit übertriebenem Schwung auf den Kaminsims aus Plastik. »Niemand nimmt Kommandant Shotcroft ernst«, wiederholte sie. »Nicht einmal seine engsten Verwandten und Freunde.«
    »Hat er überhaupt welche?« warf Phrynne ein. »Er wirkt so ... so einsam und so mitleiderregend.«
    »Er ist mein und Don sein Maskottchen«, nuschelte sie; der Alkohol verwirrte ihre Grammatik. Unüberhörbar jedoch blieb der Haß in ihrer Stimme.
    »Mir kam er wie eine wirkliche Persönlichkeit vor«, meinte Phrynne.
    »Das ist er auch, in jeder Hinsicht«, sagte Mrs. Pascoe. »Aber sie haben ihn trotzdem ’rausgeschmissen.«
    »Wo ’rausgeschmissen?«
    »Unehrenhaft entlassen. Degradiert, Ehren- und Rangabzeichen vor versammelter Kompanie abgerissen, Degen zerbrochen, dumpfer Trommelwirbel im Hintergrund, das ganze Brimborium ...«
    »Armer alter Mann. Ich bin sicher, daß es ein Justizirrtum war.«
    »Das sagen Sie nur, weil Sie ihn nicht kennen.«
    Mrs. Pascoe sah Gerald an, als warte sie darauf, daß er ihr noch einen Whisky anbiete.
    »Darüber ist er nie hinweggekommen«, sagte Phrynne grübelnd zu sich selbst und zog die Beine an. »Kein Wunder, daß er so seltsam ist, wenn sein ganzes Leben durch einen Fehler zerstört wurde.«
    »Ich habe Ihnen doch eben gesagt, daß es kein Justizirrtum war«, schnappte Mrs. Pascoe zurück.
    »Woher wollen Sie das wissen?«
    » Sie können es jedenfalls nicht wissen. Ich schon. Niemand besser als ich.« Sie war aggressiv und weinerlich zugleich.
    »Wenn Sie Ihr Geld von uns bekommen wollen«, fiel Gerald ihr laut ins Wort, »dann machen Sie gefälligst unsere Rechnung fertig! Phrynne, wir gehen jetzt nach oben und du packst!« Hätte er sie doch nur nicht zwischen ihrem Spaziergang und dem Abendessen auspacken lassen!
    Geruhsam entfaltete Phrynne ihre Beine und erhob sich. Sie hatte weder die Absicht, zu packen, noch wegzugehen, schon gar keine Lust aber, sich zu streiten. »Ich werde deine Hilfe brauchen«, sagte sie in versöhnlichem Ton, »wenn ich packen soll.«
    Wieder wechselte Mrs. Pascoes Stimmung abrupt. Entsetzen stand nun auf ihrem Gesicht. »Gehen Sie nicht. Bitte gehen Sie nicht. Jetzt nicht mehr. Es ist zu spät.«
    Gerald erhob sich. »Zu spät für was?« fragte er barsch.
    Mrs. Pascoe wirkte bleicher denn je. »Sie sagten doch, daß Sie einen Wagen wollen«, stammelte sie. »Jetzt ist es zu spät für Sie.« Ihre Stimme verlor sich.
    »Gerald packte Phrynne am Arm. »Komm mit nach oben!«
    Bevor sie die Tür erreichten, machte Mrs. Pascoe einen weiteren Versuch. »Es wird Ihnen nichts passieren, wenn Sie bleiben. Ehrenwort.« Ihre Stimme, die sonst ein wenig schrill geklungen hatte, war nun so schwach, daß die Glocken sie übertönten. Wie Gerald bemerkte, hatte sie aus irgendeinem Winkel die Whiskyflasche hervorgekramt, um nun ihr Glas wieder aufzufüllen.
    Mit Phrynne am Arm ging er zunächst zu der massiven Eingangstür. Zu seiner Überraschung war sie weder verschlossen noch verriegelt, sondern sprang nach einer halben Drehung des Türknaufes auf. Draußen auf der Straße war der Himmel voller Glocken, die Luft ein dröhnendes, schallendes Inferno. Es schien ihm, daß auch Phrynnes Gesicht zum ersten Mal unnatürlich gespannt und niedergeschlagen wirkte.

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