Gloriana
Gemeinen wie in den früheren Jahren von Dächern und Mauern zuschauen dürfen. Erzählt ferner, daß die Königin den Veranstaltungen beiwohnen und kurz darauf ihre jährliche Rundreise durch das Reich antreten wird. Bringt unter die Leute, daß Sir Thomas Perrott mit größter Wahrscheinlichkeit von der Gräfin von Scaith ermordet wurde, die aus Albion geflohen ist – das ist die Wahrheit –, und daß die Perrotts, sobald sie dies begreifen, wieder vollkommen loyal und der Krone gehorsam sein werden. Wir wollen noch nicht sagen, ob die Königin einen Gemahl zu nehmen beabsichtigt, denn das ist das beste Gegengerücht, das wir haben, und es wäre einfältig, zu früh davon Gebrauch zu machen, ehe geeignete Freier ausgewählt werden können …« »Die Königin empfängt Freier, Milord?« »Erzählt das den Leuten, wenn Ihr wollt.«
»Ich denke, es wird das Volk ermuntern, alles das zu erfahren«, sagte Tinkler nüchtern.
»Schon möglich.« Lord Montfallcon nahm einen Gänsekiel und stocherte damit zwischen den Zähnen. »Ihr mögt gehen,
Tinkler.«
Der unterwürfige Ersatz-Quire verneigte sich und ging. Montfallcon läutete, und der kleine Page Patch trat ein, zog seine grüne Samtkappe und verneigte sich tief. »Mein Herr ist draußen, Sir. Mit Sir Thomasin Ffynne.« »Laß sie herein.«
Patch verneigte sich und trat zur Seite. Lakaien kamen mit schlurfenden, kleinen Trippelschritten herein, schnaufend unter den Stangen, die Lord Ingleboroughs Sänfte trugen. In seinem Polstersessel schwankte Ingleborough, benommen von Schmerzen, die linke Hand auf dem schwachen Herzen. Als die Lakaien seinen Sessel zu Boden ließen, streckte er eine knotige Faust aus, und sofort kam Patch zu ihm gelaufen. Die zwei liebten einander wie Vater und Sohn, und selbst Montfallcon war gerührt von der Zuneigung und Zärtlichkeit, die sie einander bezeigten. Ingleborough litt so sehr unter seiner Gicht, daß es kaum einen Muskel gab, der ihn nicht schmerzte, aber sein Gehirn war gut, wenn er sich nicht mit Alkohol oder Opiaten Linderung zu verschaffen suchte. Hinter ihm humpelte Sir Thomasin Ffynne mit ernster Miene, gekleidet in dunklen Samt und schwarzes Leinen. Patch schloß die Türflügel hinter den abgehenden Lakaien, und auf ein Wort von Lord Montfallcon tat er ein übriges und sperrte sie zu.
Montfallcon seufzte. Er bot Sir Tom einen Stuhl, den dieser
dankbar nahm, um seinen Elfenbeinfuß zu entlasten. »Es ist heiß«, murmelte er und massierte das Knöchelgelenk. »Wie in Indien.«
»Ich wollte, Ihr wärt dorthin gegangen, Tom«, grollte Ingleborough. »Welche Diplomatie war notwendig, um Euch zu befreien! Die Mohren haben sich Zeit gelassen, sie machten eine politische Affäre daraus. Neptun weiß, warum! Sie sind ehrgeizig …«
»Das können wir als gewiß betrachten«, sagte Lord Mont
fallcon.
»Es riecht alles nach Krieg.« Ingleborough verzog das Ge
sicht, denn er hatte die Hand zu fest geballt. Patch streichelte
ihm die Fingergelenke. »Seit Herns Zeiten war die Gefahr
eines Ausbruchs niemals größer als jetzt. Welches ist die Ant
wort darauf, Perian?«
»Die Königin muß heiraten.«
»Aber sie wird es nicht tun.«
»Sie muß.«
»Aber sie will nicht.« Lord Ingleborough lachte. »Götter! Sie ist schlimmer als Hern, denn sie kann durch Täuschung und Schmeichelei nicht wie er beeinflußt werden. Sie kennt uns zu gut – besonders uns drei. Schon als Kind hat sie unseren zwanglosen Gesprächen gelauscht. Sie kennt unsere Tricks.« »Aber sie liebt uns auch und wird unserem Rat folgen«, sagte Montfallcon bedeutsam. »Nun, Tom, was habt Ihr über die Rivalitäten zwischen Arabien und Polen zu berichten?« »Was jetzt offen auszubrechen droht«, sagte Tom Ffynne, »nahm seinen Anfang am Neujahrstag.« Seine geröteten Wangen glänzten in einem strahlenden Lächeln, als er seine Neuigkeit zum besten gab. »Kasimir und Hassan verließen diesen Hof als erbitterte Rivalen, jeder mit dem Gedanken, daß die Königin ihm gehören würde, wenn der andere tot wäre. Eine sattsam bekannte Geschichte. Der Gegenstand des Streites wird nicht gefragt, während die Rivalen ihre Fehde so weit entwickeln, wie fehlende Ansprüche und Fakten es erlauben. Je weniger fundiert der Anspruch, desto größer die Entwicklung. Je geringer das Interesse des Gegenstandes aller Bemühungen, desto fester die Überzeugung der Rivalen, sie würden ihn nach der Niederlage des jeweils anderen in einem triumphalen Sturm erobern.«
»Wir
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