Gloriana
tierisches Geräusch – ein heiser sich überschlagendes Aufbrüllen, ein Rasseln von eisernen Ketten. Das Gesindel krähte vor Vergnügen, als sie in den Kerker geworfen wurde und auf fauligem Stoff landete, und einer schrie vergnügt:
»Da hast du, Alter! Hier ist, was du brauchst, um dich zu beruhigen! Eine Frau! Ganz für dich!« Die Tür fiel zu, ein Riegel wurde vorgeschoben, ein Schlüssel gedreht, und Una lag in der Dunkelheit und lauschte den unmenschlichen Geräuschen, die von der Kreatur ausgingen, welche jetzt durch stinkendes Stroh langsam auf sie zukroch.
DAS ZWEIUNDZWANZIGSTE KAPITEL
In welchem Rivalitäten und Geheimnisse blühen und Lord Montfallcon
das Ende all seiner Siege nahen sieht
»Gleichviel«, beharrte Lord Montfallcon, »das Turnier zum Jahrestag der Thronbesteigung muß stattfinden, und danach muß die Königin ihre alljährliche Rundreise machen. Die Notwendigkeit dafür ist nie größer gewesen. Diese Zeremonien, Sir Amadis, sind kein leeres Ritual. Sie sollen dem Volk die Majestät der Königin nahebringen, ihre Wirklichkeit, ihre Mildtätigkeit. Schon breiten sich in der Hauptstadt Gerüchte aus, und sie werden sich weiter durch das ganze Land und über die Welt hin ausbreiten. Wenn die Königin sich nicht zeigt, dann werden solche Gerüchte Nahrung erhalten und sich vermehren wie die Fliegen auf dem Dung, bis das Reich mit hundert moralischen Krankheiten angesteckt ist, die uns in allen Teilen schwächen. Wir haben die Herrschaft der Macht beseitigt und durch die Herrschaft der Gerechtigkeit ersetzt. Das Symbol dieser Gerechtigkeit ist die Königin. Wir erhalten unsere Provinzen, unser ganzes Weltreich nicht durch militärische Macht, sondern mittels einer Philosophie, die in der Person Glorianas beispielhaft verkörpert ist. Bei Mithras! Unser eigener Glaube ist Inbegriffen darin, was sie ist und was sie tut.«
Sir Amadis Cornfield fühlte sich unbehaglich in der Umgebung von Lord Montfallcons bedrückenden Räumen, die, wie immer, ungelüftet und überheizt waren. Er spürte, daß die Gefahr, sich eine Erkrankung des Körpers zuzuziehen, hier mehr als anderswo bestand. Dennoch wollte er nicht gehen, ohne seinen Ratskollegen überzeugt zu haben. »Die Königin trauert«, sagte er. »Die vielen schrecklichen Ereignisse haben sie geschwächt. Seit der Verdacht sich gegen ihre engste Freundin und Vertraute richtet …«
»Sie ist von einer Feindin befreit«, erwiderte Montfallcon. Er war von einer grimmigen Zufriedenheit. »Der Einfluß der Gräfin von Scaith bedrohte die Sicherheit des Hofes und des Reiches. Es ist offenbar, daß sie gemeinsam mit Sir Tancred die Ermordung von Lady Mary plante und ins Werk setzte, und daß sie Sir Thomas Perrott in ihren eigenen Räumen tötete. Das Blut ist entdeckt worden, am Boden, auf dem Bett, am Gobelin – überall ist Blut. Ohne Zweifel wird man bald Sir Thomas’ Leichnam finden.«
Sir Amadis war bestürzt. »Das sind böse Gerüchte, Milord.«
»Warum ist die Gräfin dann aus dem Palast entflohen?« »Könnte sie nicht auch ein Opfer sein?«
»Sie ist nicht von der Art eines Opfers, Sir Amadis.«
»Ich wußte nicht, Milord, daß Opfer nach ihren Temperamenten ausgewählt werden.«
»Euer Wissen, Sir, ist nicht von meiner Erfahrung informiert.«
»Dem ungeachtet ist die Königin vor Kummer krank, von der Ungewißheit halb von Sinnen.«
»Die öffentlichen Geschäfte werden ihr Halt und Gewißheit zurückgeben.«
»Und wer soll die Gräfin beim Turnier ersetzen? Zuerst ist Sir Tancred ausgefallen, nun sie. Es ist, als wolle das Schicksal jeden treffen, der sich anschickt, die Rolle eines Champions der Königin auszufüllen.«
»Lord Rhoone hat sich bereitgefunden, den bäuerlichen Ritter zu spielen.«
»Dann wollen wir hoffen, daß er bis zum Jahrestag der Thronbesteigung überleben wird.« Sir Amadis blickte zur Wanduhr auf, die, ganz Messing und polierte Eiche, über dem Kamin hing. Sie zeigte die halbe Stunde. Ihm blieb keine Zeit für weiteres Bitten und Argumentieren. »Nun, Ihr wißt, wie ich
darüber denke, Milord.« »So ist es, Sir.«
»Es könnte verbreitet werden, daß die Königin krank sei …« »Um die Dinge noch schlimmer zu machen? Ich habe dieses Schiff viele Jahre auf dem Kurs gehalten. Ich weiß, was gut ist für Albion. Ich kenne die Gezeiten – die mächtigen Gezeiten des öffentlichen Willens. Ich kenne die Untiefen und die Riffe. Ich weiß, welche Fracht zu führen ist und wo sie zu löschen ist.
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