Gloriana
Aus diesem Grund verläßt die Königin sich auf mein Urteil. Darum wird sie tun, wie ich sage. Nein, gerade in solcher Zeit darf sie nicht schwach sein oder scheinen! Aus Anlaß des Turniers wird der gesamte einflußreiche Adel zugegen sein und sie beobachten, um die Kunde von ihrem Befinden und ihrer Stimmung in die Welt hinauszutragen.«
Sir Amadis zuckte die Achseln, verabschiedete sich mit einem knappen Kopfnicken und ging.
Nachdem er Lord Montfallcons Räume verlassen hatte, begab er sich eilig zu der unbenutzten Zimmerflucht hinter dem alten Thronsaal, wo seine kleine Geliebte – Wildfang, liederliches Ding und unschuldige Jungfrau in einem – mit ihm zusammentreffen und endlich ganz ihm gehören wollte. Die Entscheidung des Mädchens war auf Anraten eines Herrn gefallen, ihres Vormunds, der Sir Amadis in seiner Verzweiflung, seiner Liebesqual und seinem Kummer bemitleidet und das Mädchen unterrichtet hatte, daß seinen Interessen am besten gedient sein würde, wenn es sich einem Berater der Königin entgegenkommend zeige.
Sir Amadis war von warmer Dankbarkeit zu diesem höflichen Herrn durchdrungen, der sich um die Erfüllung seiner Sehnsucht und die Qualen des schwachen Fleisches angenommen hatte; auch fühlte Sir Amadis eine angenehme Siegeszuversicht über Lord Gorius, seinen Rivalen, dessen Anstrengungen nun zunichte gemacht werden sollten.
Als er den halb verlassenen Ostflügel erreichte, stieß er un
versehens auf Meister Florestan Wallis, phantastisch aufgeputzt in Rot und Gelb und vertieft in eine angeregte Unterhaltung mit jemandem, die Sir Amadis für ein Küchenmädchen hielt. Meister Wallis sah sich schuldbewußt um, dann nahm er eine würdevoll-trotzige Haltung ein, den Rücken dem Mädchen zugekehrt. »Sir Amadis.«
»Guten Morgen, Meister Wallis.« Cornfield war sorgsam darauf bedacht, dem Mädchen keine Aufmerksamkeit zu schenken, denn er hatte sich den Sekretär niemals anders denn als einen asexuellen, dem Zölibat zugeneigten Einzelgänger vorgestellt. Ihn so zu sehen (geckenhaft herausgeputzt und verlegen), vermehrte Sir Amadis’ gute Laune, die frei war von jeglicher Mißgunst. Er gönnte Wallis von Herzen sein Abenteuer mit der Küchenmagd; in der gegenwärtigen Situation erzeugte es ein Gefühl verschwörerhafter Übereinstimmung zwischen ihm und seinem Ratskollegen.
Er ging weiter und ließ sie miteinander murmeln. Ein schwach aufkeimender Argwohn, der Küche mit Nieren in Verbindung brachte, war rasch wieder vergessen.
Lord Montfallcon blickte düster unter den buschigen Brauen hervor, und Tinkler geriet unter diesem Blick dergestalt in Verlegenheit, daß er sich am Kopf kratzte, der das Schlachtfeld von einander befehdenden Ungezieferstämmen war, mit den Füßen scharrte, sich räusperte, schnupfte und sich die Nase rieb, bevor er zur Ruhe kam.
Lord Montfallcon las die Liste ein zweitesmal durch, denn er wußte, daß Tinkler seine Fragen um so rascher und bereitwilliger beantworten würde, je länger er ihn warten ließ. Und je rascher er antwortete, desto geringer war die Möglichkeit, daß er seine Informationen mit persönlichen Deutungen färbte. »Nichts von Quire?« Das war seine gewohnte Eröffnung.
»Tot, Sir, ganz gewiß.« Tinkler war hilflos. »Und ich war nicht der einzige, der ihn suchte. Sechs Monate sind vergangen, Sir. Wir müssen ihn aufgeben.«
»Wer suchte ihn noch?«
»Väter von Töchtern und Söhnen, denen er unrecht getan.
Verwandte und Freunde von Leuten, die er entführte oder
tötete. Wer weiß heute noch, was es im einzelnen war?«
»Und die Stimmung in der Stadt?«
»Quire ist von den meisten vergessen.«
»Dummkopf. Ich meinte die Königin.«
»Sie wird geliebt und verehrt wie immer, Milord.«
»Gerüchte? Klatschgeschichten?«
»Unbedeutend.«
»Wirklich?« Montfallcons Augenbrauen hoben sich skeptisch.
»Nicht der Rede wert«, begann Tinkler unbeholfen. »Wirk
lich …«
»Was erzählt man sich, Tinkler?«
»Die Rede geht von mehreren Morden, von einer Rückkehr
zu den Zeiten der Herrschaft des Königs Hern und seines ver
rückten Hofes, von einer Königin, die zum Wahnsinn getrieben
würde von ihrer …«
»Unerfüllten Lust?«
»So könnte man sagen, Sir …«
»Was noch?«
»Daß Sir Thomas Perrott von Euch, Milord, eingekerkert und gefoltert worden sei. Daß die Perrotts in den Bann getan seien und einen Aufstand vorbereiteten. Und daß die Favoriten und Vertrauten der Königin jedes tugendhafte Mädchen entehrten, das sie finden
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