Gloriana
zur Königin trugen. So wanderte der vermummte Mann gemächlichen Schrittes hierhin und dorthin, nahm das gebratene Fleisch und das Brot, das ihm von den umhereilenden Pagen angeboten wurde, und verzehrte es genießerisch, während er weiterging, mehr durch Instinkt als durch bewußtes Urteil die Schatten und die äußeren Ränder suchend. Dann drang ein dumpfer Donnerschlag vom anderen Ufer herüber, gefolgt von einem Knattern und Zischen, einem Brausen wie von einem geheimnisvoll entfachten Sturmwind, und vor den Augen der in momentanem Erschrecken erstarrten Menge begann das Schauspiel eines gewaltigen Feuerwerks. Bunte rotierende und sprühende Feuerwerkskörper, die kunstvoll an dem Gerüst befestigt waren, bildeten ein zischendes und sprühendes G von gewaltigen Dimensionen in einem enormen Zierrahmen; dann kreischten Raketen und verstreuten Diamantengefunkel, und die Eisfläche lag jählings in helles Licht getaucht, was dem Mann im Bärenfell Anlaß gab, sich zu einer Ecke zurückzuziehen, wo Kai und Böschungsmauer zusammenstießen. Brennende, zischende Patronen fielen auf das Eis zurück, ängstigten furchtsame Gemüter und begeisterten andere.
Rotes und grünes Feuer flammte auf, und das Gerüst schien ein wenig nachzugeben, so daß man meinte, das Eis gebe unter der Last nach.
Lord Montfallcon hörte das dröhnende, berstende Geräusch durch den Lärm des Feuerwerks und der Menschenmenge und war augenblicklich in geschäftiger Bewegung und eilte zu Lord Rhoone, der mit seiner Gemahlin und ihren zwei Kindern beisammenstand und mit Meister Wheldrake und der unbekümmert dem Glühwein zusprechenden und bereits angeheiterten Lady Lyst redete. »Rhoone! Habt Ihr gehört?«
»Was?« Lord Rhoone drückte das Glas seinem ältesten Jungen in die Hand, der, froh über die ihm bislang verwehrte Gelegenheit, daraus zu trinken begann. »Das Eis, Rhoone! Das Eis bricht. Dort draußen.«
»Es ist hier fest genug, Montfallcon. Es wurde erprobt. Ein Riß, der durch Spannung im dicken Eis aufspringt, kann ein unangenehmes Geräusch machen, ist aber in aller Regel ungefährlich.« »Nichtsdestoweniger …«
Rhoone rieb sich das bärtige Gesicht und blickte verdrießlich umher. »Nun, wenn Ihr meint …«
»Wir müssen den Hof und das übrige Volk geordnet vom Eis bringen und zum Ufer überführen.« Lord Montfallcon blickte abschätzend zum Nordufer und sah die Gestalt im Bärenmantel gemächlich die Stufen hinaufsteigen, um in die Dunkelheit davonzuschlendern. Weitere Feuerwerkskörper heulten, zerknallten und tauchten den vereisten Fluß und beide Ufer in verschiedenfarbigen Lichterglanz. Montfallcons verdüsterter Blick folgte der Gestalt, er hob die Hand, als wollte er ihr ein Zeichen geben, und ließ sie sinken. »Eure Majestäten, meine Herren und Damen«, rief er, »wir müssen zum Ufer zurückkehren. Das Eis droht zu brechen.« Aber seine Stimme vermochte das Getöse des Feuerwerks und das Gelächter und die Rufe der ausgelassenen Menge nicht zu durchdringen.
Montfallcon drängte sich in Eile durch die Gruppen der Höflinge, bis er Glorianas Thron erreichte. Sie unterhielt sich ungezwungen mit ihren beiden Gästen und lachte über etwas, was der König von Polen gerade gesagt hatte, und ihr Gesicht strahlte im Widerschein der Feuerwerksexplosionen, die immer zahlreicher, lauter und prächtiger wurden.
»Das Eis, Majestät. Es besteht Gefahr, daß es einbricht!«
Über dem Fluß ein blendender Ausbruch von verschiedenfarbigen, riesige leuchtende Rosetten bildenden Feuerwerksraketen. Ihre Augen blitzten. »Ah!«
»Das Eis droht zu brechen!« rief Montfallcon. »Euer Majestät! Das Eis bricht!«
Die Gestalt im Bärenfell bewegte sich die Uferböschung über dem Kai hinauf durch die Bäume, blickte zu der Menge zurück, deren Lärm plötzlich verebbte, und hörte Montfallcons Stimme rufen. Dann verließ die Königin den Pavillon auf dem Eis und kehrte an der Spitze ihres Gefolges zurück zum Ufer. Auch die Masse des Volks begann das Eis zu verlassen, und bald blieb nur noch eine Schar von Bediensteten zurück, welche die Läufer einrollten, den Pavillon und die Markisen einholten, die Thronsessel und Sitzgelegenheiten entfernten und das Musikpodium zerlegten. Der Mann im Bärenfell wandte sich achselzuckend ab, verschwand hinter Gesträuch und schlüpfte durch eine Lücke im Mauerring von Westminster und hinaus auf einen schmalen Weg, der ihn ostwärts zu einem Haus führen sollte, wo ihn weitere Unterhaltung
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