Gloriana
ihres riesenhaften Gemahls (Lord Rhoone spielte den Thor) messen konnte:
Nun deckt der harte Winter die Gefilde,
Die Zeit der Axt und der gespaltnen Schilde; Und blutige Gewalt befällt die Ahnungslosen, Da Odin schaut des Mimir abgeschlagen Haupt: Weh über den, der nicht an Untergang geglaubt. Der grause Fenrir reißt sich los und schnaubt; Schon gellen Asgards Hallen von den Kampfes Tosen.
Lord Montfallcon hielt den Gipskopf ungeschickt in die Höhe und las von einem Blatt, das er zu verbergen suchte, während der arme Wheldrake in der letzten Reihe schmerzlich das Gesicht verzog und sich in einer Qual krümmte, wie nicht einmal
Lady Lyst sie ihm zufügen konnte.
Horcht! Heimdal läßt sein Horn ertönen,
Der neun Welten gewaltiger Sohn;
Der alten Brücken Hölzer dröhnen
Im Tritt der Riesen, und Fröste dröhn. Die Weltesche bebt, und der Sonne, der schönen, Wird Skoll der Verschlinger zum bösen Lohn.
Nun war Gloriana an der Reihe. Sie hatte Meister Wheldrakes Reaktion bemerkt und überlegte, ob seine Qual nicht bis zu einem gewissen Grade von Schuldgefühlen herrühre. Sie holte Atem und intonierte in ihrer Rolle als Freyja:
Über heiligen Hainen Sturmvögel ziehn,
Entfachen Wind über der Erde;
Aus Midgard Gemeine und Könige fliehn,
Daß in Hel ihnen Aufnahme werde.
Und das Siegesschwert stehlen geht Fjalar der Zwerg, In schlauer Verkleidung setzt er’s ins Werk.
Der nächste war der hünenhafte Lord Rhoone als Thor, einen gewaltigen Hammer schwingend:
Die Götter Asgards fürchten ihre Dämmrung nicht; Entschlossen gürten sie das Schwert zur Schlacht. Gelassnen Mutes blick ich dem Feind nun ins Gesicht, Und halte stand der Weltenschlange Macht. Ist mir der Tod bestimmt, ich hab es nicht in acht, Bis mir das Aug in Schnee und Dunkel bricht.
Und in diesem Stil ging es für eine gute Stunde weiter, bis Una wieder vortreten mußte, um das Maskenspiel mit einem Vers zu beschließen:
So ist gekommen Ragnarök, und Götter liegen tot; In edlem Streite wurden sie erschlagen. Da half nicht Ruhm noch Name, so litten sie letzte Not; Nicht einer floh den Kampf mit feigem Zagen. Doch stieg aus Blut und Untergang ein neues Morgenrot,
Und neue Zeit. Nun soll ein Reich die alte Bürde tragen. In Albions Glorienschein der Erdkreis soll erstrahlen!
Una bemerkte, daß Meister Wheldrake den Applaus nicht abgewartet hatte, sondern mit einem verzweifelten Blick zu Lady Lyst aus dem Saal geschlüpft war, ehe sie noch die letzten Zeilen aufgesagt hatte. Wenn die Qualität seiner Maskenspiele auf dieser Ebene blieb, dann würde die Königin bald einräumen müssen (so schien es wenigstens Una), daß ein neuer Dichter für den Hof gefunden werden müsse, aber das Publikum klatschte begeistert Beifall, und Kasimir und Hassan sprangen beide auf und eilten zur Bühne, nahe daran, einander anzurempeln, um Gloriana zur Schönheit ihrer Darstellung, der edlen Anmut der Verse, der Weisheit und der Tiefe der Gefühle, zur angemessenen Feierlichkeit der Musik und den vortrefflichen Kulissen zu beglückwünschen, und Una konnte hinter eine der Stellwände mit den aufgemalten Dekorationen schlüpfen und sich der lästigen Kapuze entledigen, worauf sie entdeckte, daß Lady Lyst bereits da war und wie von Sinnen in sich hineinkicherte. In Sorge, sie möchte von Lady Lysts unbändiger Heiterkeit angesteckt werden, kehrte Una auf die Bühne zurück und fand sofort die Aufmerksamkeit Lord Montfallcons, der beinahe fröhlich schien. Sein Verhalten zu ihr war ohne allen Zweifel wärmer als gewöhnlich, denn er hegte eine Abneigung gegen sie und blieb sonst stets reserviert, hielt er sie doch für eine Rivalin im Vertrauen der Königin, eine schädliche und zersetzende Stimme, welche die Königin mit allerlei Verlockungen von der Erfüllung ihrer Pflichten abhielt. »Ein feines Stück, wie?« sagte er. »Diesmal hat Wheldrake sich selbst übertroffen. Wir müssen ihn im Frühjahr in den Adelsstand erheben. Ich werde mit der Königin darüber sprechen. ›Nun soll ein Reich die alte Bürde tragen, in Albions Glorienschein der Erdkreis soll erstrahlen!‹ Sehr schön und wahr, nicht?«
Erfreut über die Umkehrung ihrer gewohnten Rollen, lächelte Una breit. »O ja, Milord! Sehr wahr, Milord!« – und vernahm einen weiteren Heiterkeitsausbruch hinter den Kulissen. Sie schritt mit Montfallcon am Arm zur Mitte des großen Festsaals, wo die Königin sich der Schmeichelei von Königen, Herzögen und Prinzen erfreute und in ihrer
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