Glueck allein
war, sah sie plötzlich sehr alt und müde aus und sagte nur: »Ruf das nächste Mal an.«
Einer zu viel
Pierre hörte gar nicht mehr auf zu lachen. »Drei sind einer zu viel«, sagte er mehrmals und fächerte sich Luft mit seinen Händen zu.
»Sei ein bisschen mitfühlend«, bat ich und blickte wieder raus in den Garten. Ich saß auf der Fensterbank, wo Johannes sonst saß. Von hier aus konnte man die ganze Bibliothek überblicken oder sich allem entziehen, nur das Spiel der Blätter an Bäumen und Sträuchern im Wind betrachten.
»Wie alt war der junge Mann mit der Freundin?«, fragte Pierre, nachdem er sich ein wenig beruhigt hatte.
»Jan? Vielleicht zwanzig.«
»Zwanzig«, wiederholte er. »Hätte dich das nicht gereizt?«
»Ich bin fünfundzwanzig«, erinnerte ich ihn verständnislos.
Er erwiderte, dass jedes Jahr, wenn die Frau älter sei, doppelt zähle, so dass ich schnell nach Johannes fragte, um mein Unbehagen über seine Worte zu verbergen. Auch wenn ich mich schon mit zwanzig alt gefühlt hatte, häuften sich seit meinem letzten Geburtstag diese Momente.
»Johannes? Der wollte keine Pause machen«, sagte Pierre. »Er meinte, wir könnten dich auch nicht dauernd stören.«
»Doch, könnt ihr ruhig«, entgegnete ich.
»Hab ich ihm auch gesagt.« Pierre nippte an seinem Kaffee. »Aber du kennst ihn ja. Er ist anders als wir.«
»Wie meinst du das?«, fragte ich und richtete mich auf.
»Johannes arbeitet wie ein Uhrwerk«, sagte Pierre. »Die ganze Zeit. Schreibt keine Nachrichten, telefoniert nicht, geht nicht ins Internet. Der starrt nicht einmal aus dem Fenster. Nichts.«
»Wolltest du deshalb nicht bei ihm sitzen?«, wandte ich ein.
»Bevor du kamst, hat er überhaupt keine Pause gemacht«, sagte er.
»Wirklich?« Ein Lachen schoss mir ins Gesicht.
Pierre kratzte sich grüblerisch am Kopf. »Er kommt früher und geht später als ich.«
»Hat Johannes niemanden, der zu Hause auf ihn wartet?«, wollte ich wissen, obwohl mich diese Frage unwillkürlich nervös werden ließ.
»Eine Freundin? Nein.«
»Warum nicht?«, fragte ich, wobei ich mich bemühte, dass es beiläufig klang.
»Na, das würde ich auch gern wissen«, sagte Pierre. »Ich meine, er sieht doch wirklich blendend aus. Findest du nicht?«
Pierre sah mich neugierig an, aber ich zuckte nur mit den Schultern.
»Als ich ihn neulich gefragt habe«, fuhr er gähnend fort – »Du hast ihn gefragt?«, unterbrach ich ihn.
»Ja.« Er strich sich ein wenig Staub von der Hose. »Was ist schon dabei? Er meinte, ihm sei die Richtige noch nicht begegnet.«
Enttäuscht betrachtete ich die Sträucher, die vom Hausmeister vor einigen Tagen zu hässlichen, eckigen Gebilden gestutzt worden waren.
»Aber manchmal erkennt man die Richtige ja auch nicht gleich«, fügte Pierre nachdenklich hinzu.
»Ja? Hat er das gesagt?«
»Nein. Das sage ich.«
Wieder landete mein Blick auf den Sträuchern. Plötzlich fiel mir ein, an wen Johannes mich erinnerte. Er erinnerte mich an Florian, den ich geliebt hatte, ohne ein Wort jemals mit ihm gesprochen zu haben. Johannes hatte zwar blaue, nicht braune Augen, aber auch sie trugen diese sonderbare Zärtlichkeit in sich. Dennoch wirkte er körperlich stark und war ganz und gar Mann - genauso wie Florian, dachte ich und spürte, dass er immer noch nicht vergessen war.
»Rufen dich die Eheverträge?«, fragte Pierre, als ich aufstand, um zurück an die Arbeit zu gehen.
Ich hielt inne. »Was?«
»Oder reiche ich dir nicht?«, fragte er.
»Komm schon«, sagte ich irritiert, »es ist schon bald vier.«
Aber Pierre blieb sitzen und schien auch meine Frage, ob er nun mitkommen wolle, nicht mehr wahrzunehmen.
Eine kleine Melodie
Florian.
Erst war es nur ein kleiner Gedanke, der mich für einen Moment aus den Büchern zog, dann aber gleich wieder verschwand, wie eine Melodie, die man kurz pfeift. Wenig später, ich hatte keine zwei Seiten gelesen, tauchte dieser Gedanke wieder auf. Ich dachte darüber nach, überlegte, was dagegen spräche, schließlich liebte ich ihn schon lange nicht mehr, doch dann fiel mir meine Arbeit wieder ein, die sich nicht von alleine schreiben würde, so dass ich den Einfall als Irrsinn verwarf.
Ich wollte gleich mit dem Schreiben beginnen, nur noch ein Mal E-Mails lesen, ließ mich von der blinkenden Werbung eines Online-Shops einfangen und schaute mir unzählige Schuhe an, bis jede Formulierung zu Ehe und Verträgen aus meinem Kopf verschwunden war. Ich kehrte
Weitere Kostenlose Bücher