Glueck allein
Tanzfläche waren, wurde jede Bewegung von uns aus allen Winkeln beäugt und ich merkte, dass ich wirklich noch zu nüchtern für so etwas war. Erleichtert sah ich, dass ein paar Frauen es uns nachtaten und neben uns kamen. Ein Mann mit breiten Schultern und einem an den Armen hochgekrempelten Holzfällerhemd ging lässig in ihre Mitte. Er sagte etwas und alle Frauen lachten beseelt. Eine von ihnen war zart und schmal, wie eine Elfe, mit braunen Augen. Sie wird er wählen, dachte ich und wollte sie vergessen, da ihre Schönheit mir mit einem Blick erklärte, warum sich Jakob nicht bei mir meldete.
Die Brust des Mannes blähte sich auf, wieder machte er einen Scherz. Die Elfe lachte ihn silbern an und er lächelte auch kurz zurück, aber sein Blick hing bei einer anderen, mit einem bäuerlichen Gesicht und kräftigen Armen, mit der er immer wieder das Gespräch suchte. Als die Elfe das sah, trat sie neben die beiden, sagte etwas und legte vertraulich ihre Hand auf seinen Arm. Er rieb sich verlegen den Nacken und als sein Blick wieder an dem Gesicht der anderen haften blieb, wussten die Elfe und ich, wen er gewählt hatte. Das zarte Mädchen mit den braunen Augen sank in sich zusammen.
Auch sie?, fragte ich mich erstaunt und hatte für einen Moment den befreienden Gedanken, dass es nicht nur an meinem Äußeren lag, bis mir ein brennender Schmerz in die Rippen fuhr. Hannas Kollegin hatte mir ihren Ellenbogen in die Seite gerammt.
»Tschuldigung«, kreischte sie und stolperte an mir vorbei.
»Nichts passiert«, sagte ich und strich vorsichtig über die pochende Stelle. Hanna imitierte mit angewinkelten Händen den Pharaonentanz und merkte gar nicht, dass ich ging.
An der Bar war es angenehm ruhig und ich wurde sofort bedient. Vielleicht sollte ich mal einen Abend ohne Mann verbringen, überlegte ich, während ich Lise betrachtete, die grünlich über den Toiletten schimmerte. Nicht suchen, finden und verlassen werden. Nur tanzen und Spaß haben.
Oder hatte er sich gemeldet? Hektisch zog ich mein Handy aus der Tasche. Der Funken Hoffnung verglühte sogleich. Kein Anruf, keine Nachricht. Verärgert über meine dümmliche Erwartung, den schrillen Klingelton, das starke Vibrieren in meiner Seite nicht bemerkt zu haben, stopfte ich das Telefon zurück in meine Tasche.
Warum wartete ich überhaupt? Warum war ich ständig im Duett die tragische Figur? Warum schrieb ich ihm nicht einfach selbst? Vielleicht wartete er genauso auf eine Nachricht von mir. Vielleicht hatte er ebenso nicht den Mut, mir zu schreiben. Vielleicht könnten wir uns einfach heute Nacht wiedersehen, müssten uns dieser ängstlichen Aufregung einer eigenen Verabredung, diesem eiskalten, nüchternen einander Prüfen nicht stellen.
Entschlossen nahm ich mein Handy und schrieb: »Bist du noch unterwegs? Bin gerade im Zauberwald. Hat sich alles verändert. Wirklich krass« und sendete die Nachricht.
Minute für Minute verstrich. Ungeduldig wippte ich auf dem Barhocker. Es kam keine Antwort. Die Technik war der Wirklichkeit weit voraus.
Nach einer Weile nahm ich mein Handy und öffnete die von mir gesendete Nachricht. »Bin gerade im Zauberwald«, las ich meine geschriebenen Worte. »Hat sich alles verändert. Wirklich krass.«
Hitze stieg mir in den Kopf. Was war das für eine Nachricht?
Das Handy rutschte aus meiner Hand. Als ich es aufhob, hatte seine Rückseite einen tiefen Kratzer. Ich wischte darüber, als ob die Kerbe hierdurch verschwinden würde. Wie konnte ich mich bloß dazu hinreißen lassen? Verstört kehrte ich zurück auf die Tanzfläche. Ahnungslos zwinkerte Hanna mir zu, aber mir war das Lachen vergangen.
Man sollte einem Mann nicht mitten in der Nacht schreiben, war mir nun klar. Bei ihm könnte die Befürchtung entstehen, dass man ihn von nun an häufiger und dann auch noch zu unmöglichen Zeiten belästigte. Der Gedanke, dass er diese völlig nichtssagende, im lapidaren Ton geschriebene Nachricht mit dem Schlusswort »krass« am nächsten Morgen lesen würde, die, wenn er nur ein wenig Menschenkenntnis besaß, ihm schlicht meine Verzweiflung offenbarte, lähmte meinen Körper, so dass mir Tanzen unmöglich war. Hanna schwebte rückwärts im Moonwalk und merkte gar nicht, wie ich sie und die anderen erneut verließ.
»Hast du Lust was zu trinken?«, fragte mich ein Mann mit Glatze, den ich ohne mein Unglück mit Jakob niemals beachtet hätte.
»Klar«, sagte ich entschlossen. Es war nur noch ein Barhocker frei, ich saß, er
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