Glueck allein
Lüftung des Rechners klackend ausging, blieb ich noch einen Moment sitzen. Der Raum kam mir plötzlich bedrückend still vor. Kein Geräusch war mehr zu hören. Schleichend ergriff mich die tiefe Sorge, dass Florian mich nicht mögen, mir vielleicht gar nicht antworten könnte. Eine alte, schon vergessene Angst, die mir, wenn ich ihrer gewahr wurde, den Atem nahm und mich wohl die ganze Zeit davon abgehalten hatte, ihm zu schreiben.
In der Eidechsenhöhle
Pierre pustete rhythmisch in seinen Kaffee, als läge er in den Wehen. Wir drängten uns zu zweit in die Küche des Instituts, da die Bibliothek seit mehreren Stunden von zwei Studenten, die dort lernen wollten, besetzt war. Pierre hatte sich darüber lautstark empört und in der engen Küche derart mit den Händen gefuchtelt, dass Johannes, der nun endlich wieder in die Pause mitgekommen war, seinen Kaffee schnell ausgetrunken hatte und wieder gegangen war. Danach war Pierre ruhiger geworden.
»Wie kommst du eigentlich mit deiner Arbeit voran?«, fragte er nach einer Weile.
Ich antwortete ihm nicht. Seit einem Tag wartete ich ununterbrochen auf Florians Nachricht. Versuchte ich einen Satz zu formulieren, sprangen meine Gedanken umher oder waren ungelenk und schwer, als wäre ich krank. Es war nicht ungefährlich gewesen, mit ihm in Kontakt zu treten.
»Du schreibst über Eheverträge, oder?«
Ich nickte.
»Und worüber genau?«
Verdutzt schaute ich ihn an. Bisher hatte mich nur Johannes nach meiner Arbeit gefragt. Nicht, weil es den anderen gleichgültig gewesen wäre, sondern weil jeder wusste, nur eine kleine unschuldige Frage konnte bewirken, dass man sich plötzlich einem hochdetaillierten Referat ausgesetzt sah, dessen Inhalt einen bei nochmaligem Nachdenken eigentlich nur wenig interessierte. In diesem Bewusstsein fasste ich mich kurz, als ich Pierre Auskunft gab.
Herr Brandis, seit vielen Jahren ranghöchster Mitarbeiter des Instituts, mit Eidechsenaugen, Glatze und rötlicher Haut, kam in die Küche. Pierre und ich rückten zusammen, grüßten ihn kurz und da es unhöflich gewesen wäre, zu verstummen, fuhr ich fort. Herr Brandis streckte uns sein glänzendes Ohr entgegen, während er die Kaffeemaschine anwarf, die pfiff und stöhnte und rasselnd die Bohnen mahlte. Ich versuchte mich nicht beirren zu lassen, hob meine Stimme und fuhr fort, aber meine Gedanken begannen wie ein versandetes Zahnwerk zu stocken, jeder Satz erschien mir unpräzise und nicht durchdacht.
Das ist alles falsch, fuhr es mir durch den Kopf und Brandis knallte die Zuckerdose auf die Anrichte. Seine spitzen Blicke verunsicherten mich vollends und meine letzten Sätze zerfielen in sinnlose Fetzen. Als ich fertig war, blieb Pierre stumm.
Brandis meinte, ohne mich anzuschauen: »Dazu hat Rothenbach was geschrieben.«
Rothenbach? Ich verschränkte meine Arme und versuchte mich an diesen Namen zu erinnern.
Brandis hob drei gehäufte Löffel Zucker in seine Tasse. Eins, zwei, drei.
»Sie haben den diesjährigen Aufsatz gelesen?«
»Ich glaube schon.«
»Sie glauben?« Seine grünen Augen schnellten zu mir. »Sie sind hier an der Universität und nicht in der Kirche.«
»Ich bin mir nicht sicher«, stotterte ich und dachte an einen Aufsatz, den ich vor längerer Zeit wie so vieles nur überflogen hatte.
»Hat er nicht was über das Scheidungsverfahren geschrieben?«
»Er?« Brandis lachte künstlich. »Wohl eher sie. Marianne Rothenbach.«
Sprachlos sah ich ihn an.
Brandis behielt ein schmales, teuflisches Lächeln auf dem Gesicht. »Wie sind Sie noch einmal zu uns gelangt? Ihre Frau Mutter war dem Herrn Professor bekannt?«
»Nur flüchtig«, sagte ich leise.
»Ja, ja, unsere Frau Wagner«, sagte Brandis hörbar seufzend, als er mit seiner dampfenden Tasse die Küche verließ.
»Ui, der hält sich aber für ganz schlau«, flüsterte Pierre, als Brandis außer Reichweite war. Hilfesuchend sah ich ihn an. Leider war Pierre die Erleichterung, dass es ihn selbst nicht getroffen hatte, ins Gesicht geschrieben.
Das Etcetera-Prinzip
Gewöhnlich freute ich mich auf die Pausen in der Bibliothek. Nun kam es mir vor, als trennte mich wie nach einem lauten Knall ein Pfeifen von der Außenwelt. Rothenbach hatte wegweisende Aufsätze zur verfassungsrechtlichen Grundlage des Eherechts geschrieben. Ich war wütend, vor allem auf mich selbst, denn ich hatte ihren Namen gelesen und wieder vergessen und war mir sicher, das wäre nicht passiert, hätte ich ein bisschen
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