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Glueck allein

Glueck allein

Titel: Glueck allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Halcour
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Bordsteinkanten«, sagte er und sah an mir vorbei. Sofort kam mir in den Sinn, dass ihm in seiner Kindheit Gewalt begegnet war, bis er meinte, dies sei erst mit seiner Arbeit gekommen, woraufhin ich meinen Gedanken, der doch eine Erklärung für alles und jedes bot, wieder verwarf.
    Auf meine Frage, was er denn beruflich mache, dass er solche Träume habe, sagte er: »Ich bin Ingenieur, baue Motoren. Und...« Er zögerte einen Moment. »Wir stehen ziemlich unter Druck. Arbeiten nie schnell genug, nie lang genug, nie gut genug.«
    Er warf seine Zigarette hin und trat sie aus, bis sie flach wie der Boden war. »Dabei reiße ich mir den Arsch auf und das wissen sie alle.«
    Unweigerlich legten sich Tränen in meine Augen und ich war froh, dass es dunkel war.
    »Du studierst?«, fragte er.
    »Nein, ich arbeite an der Uni. Korrigiere Klausuren. Und schreibe eine Doktorarbeit.«
    Er musterte mich einige Sekunden. »Du siehst jünger aus«, sagte er dann.
    »Schon fünfundzwanzig«, erwiderte ich schnell.
    »Und? Wie weit bist du mit der Arbeit?«, fragte er.
    »Ich habe noch keine einzige Seite geschrieben.« Verlegen knetete ich meine Finger. »Es ist schwerer, als ich dachte.«
    Er nickte, als wüsste er wovon ich spreche und als ich ihn hierzu fragte, sagte er, dass er auch schreibe, aber nur unbedeutende Geschichten und auch nur, wenn er nicht schlafen könne.
    »Und über was?«, fragte ich.
    »Meine letzte handelt von einem Kerl«, sagte er, »der glaubt, er wird verfolgt und daher nicht mehr schlafen geht, sondern Tabletten schluckt und Pläne schmiedet, wie er seine Verfolger erschießt.«
    »Wird er denn verfolgt?«, fragte ich, aber erhielt keine Antwort. Ich könne es lesen, wenn es fertig sei, sagte er lapidar, was mich unwillkürlich lächeln ließ.
    »Vielleicht sollte ich auch mal eine Geschichte schreiben«, sagte ich nach einigem Nachdenken, »über eine junge Frau, die verzweifelt den Richtigen sucht.«
    »Das ist es, was du suchst?«, fragte er.
    Beschämt über meine Offenheit blickte ich zur Seite, aber ihn schien es nicht weiter zu kümmern.
    »Über sich selbst zu schreiben, ist wie ein Kampf«, sagte er und seine Stimme klang, als würde er diesen schon lange führen.
    »Aber hilft es nicht auch?«, fragte ich.
    »Ob es hilft?«, wiederholte er erstaunt und verwies darauf, wo er hier und jetzt stehe, nämlich im »Nirgendwo«, wie er es nannte.
    »Also ist es keine Lösung«, folgerte ich und verwarf den Gedanken, irgendetwas von dem Mist, den ich jeden Tag erlebte, aufzuschreiben.
    »Die gibt es sowieso nicht«, sagte er und sah mich dabei so scharf an, dass mein Herz zu klopfen begann. Ich versuchte seinem Blick standzuhalten, doch es gelang mir nicht. Schnell sah ich zu Boden, wo mein rechter Schuh seine Zigarettenkippe zur Seite rollte. Er hatte mich längst.
    »Kann ich auch eine Zigarette haben?«, fragte ich, um meine Unsicherheit zu verbergen.
    Er nickte, reichte mir eine Zigarette, betrachtete mich, wie ich sie anzündete und sagte in die Stille hinein: »Du bist schön.«
    Fast hätte ich mich am Rauch verschluckt. Mir war schwindelig. Aber er hatte mich längst.
    »Ich heiße Emilia«, sagte ich und streckte ihm förmlich meine Hand entgegen.
    »Julian«, sagte er und erwiderte ebenso förmlich, aber amüsiert meinen Händedruck.
    Zwei langhaarige Männer in Lederjacken zogen an uns vorbei und stiegen ins Delirium herab.
    »Siehst du, die lassen noch Leute rein«, sagte ich und sah ihn an.
    Er erriet meinen Gedanken und lächelte, als wüsste er, dass es unvernünftig war.
    »Komm«, sagte er und bot mir zu meinem Erstaunen seine Hand an. Mit kalten Fingern umschloss ich sie und folgte ihm Stufe für Stufe die steile Treppe hinunter.
    Am Fuß der Treppe öffnete er eine schwere Tür aus Eisen und feuchtwarme, verrauchte Luft schlug uns entgegen. Große schwarze Gestalten lehnten an der Bar oder bewegten sich im rötlichen Halbdunkel monoton zur Musik. Julian ging auf die Tanzfläche.
    »Wir tanzen«, sagte er, wobei seine Lippen fast mein Ohr berührten. Ich nickte lächelnd und wir fielen in die Musik. Erst blieben wir noch ein Stück voneinander entfernt, während wir uns bewegten, bald kamen wir uns aber sehr nah. Ich ließ ihn an mich heran, fühlte seinen hitzigen Körper an meinem, wiegte mich in seinem Schoß und wurde eins mit seinen Bewegungen, die so gleich zu meinen waren, als wären sie nur einem Denken entsprungen. Seine Stärke, seine Größe, sein Duft, all das ließ mich

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