Glueck allein
der mit einer Flasche Bier in seiner hängenden Hand in aller Ruhe seine Schritte vollzog. Der hat doch niemanden provoziert, dachte ich.
Aber der Holländer wurde immer wütender, sein Gesicht war bis zum äußersten verzerrt, er wollte auf den Langen los, ihn »zerbrechen«, wie er dauernd schnaubte, aber Ben und die Krähe versperrten ihm den Weg, redeten energisch auf ihn ein und versuchten, ihn zu beruhigen. Doch der kleine Mann riss sich los, stürzte auf den Langen zu, stieß ihn mit aller Kraft nach hinten. Der Lange taumelte, knickte ein, packte gerade noch seinen Nachbarn am Arm, um nicht zu stürzen.
Das geht zu weit, dachte ich und befürchtete, wir würden gleich allesamt vor die Tür gesetzt. Im Glauben an die ausgleichende und beruhigende Wirkung einer Frau ging ich auf den keuchenden Mann zu, der von seinen Freunden wieder mühevoll zurückgehalten wurde.
»Lass doch gut sein«, sagte ich sanft und legte meine Hand auf seinen Arm – ich war mir sicher, dieser Berührung könnte er nicht widerstehen.
»Halt dich da raus!«, brüllte er und schlug meine Hand wütend weg. Seine Augen waren blutunterlaufen und traten hervor. »Wer bist du überhaupt? Verpiss dich, du Schlampe!«
Fassungslos landete meinen Blick auf der Krähe, die mich genauso feindselig ansah. »Jetzt hau schon ab«, sagte sie, »dich braucht hier kein Mensch.«
Sprachlos hob ich meine Hand, wandte mich ab, sah nicht wie Ben das Gewehr anlegte, »mit dem Arsch kann die lange suchen«, schoss er mir in die Rippen.
Wie erstarrt hielt ich für einen Moment inne, sah im Augenwinkel die Köpfe seiner Freunde herunter sausen, wie ein Lachen aus ihren Backen platzte und der Schütze übermütig zu ihnen herüber schielte. Hastig drängelte ich mich zur Bar und griff meine Jacke, die wie ein überfahrenes Tier am Boden lag.
»Du gehst?«, fragte der Russe. Noch immer waren meine Gesichtszüge wie gelähmt. Ich konnte nichts sagen und lief zum Ausgang.
Jemand hielt mich zurück. Blitzartig drehte ich mich um. Es war der verheiratete Mann. »Tanz mit mir!«, rief er.
»Tanz doch mit deiner Frau!«, fauchte ich ihn an und riss mich los.
Draußen war es kalt und die Straße nur schwach von Laternen erleuchtet. Ein paar Leute gingen zur Bahn. Ich rannte in die entgegengesetzte Richtung, stolperte über das Pflaster, blieb ständig hängen und musste meine Absätze aus den Fängen der Steine reißen. Ich spürte meinen Bauch, er fühlte sich prall und rund an. Du musst abnehmen, entschied ich, du musst unbedingt abnehmen. Tränen schossen mir in die Augen. Wäre ich doch bloß mit Hanna gegangen.
Plötzlich hörte ich laute Stimmen aus einer Seitenstraße. Eine Gruppe junger Männer verließ einen kleinen Club, über dessen Eingang rot leuchtende Buchstaben mir ein Versprechen abgaben: Delirium. Automatisch steuerte ich auf den Eingang zu. Eine finstere Treppe führte in die unterirdischen Räume.
Gerade als ich meinen Fuß auf die erste Stufe setzen wollte, sagte eine männliche Stimme hinter mir: »Die machen gleich zu.«
Ich wandte mich um. Der Sprechende lehnte an der Wand und rauchte. Gedankenverloren betrachtete ich sein Gesicht, dessen Konturen in der Dunkelheit verschwammen.
»Suchst du jemanden?«, fragte er.
»Ja, schon lange«, flüsterte ich.
»Ist er da drin?«
»Ich bin mir nicht sicher.«
»Ruf ihn an«, schlug er vor und sah mich aus schwarzen, funkelnden Augen an.
»Keine Nummer.« Meine Ratlosigkeit war nicht gespielt.
»Aber er war hier?«
Ich zuckte mit den Schultern. Nachdenklich kratzte er sich am Kinn. Er trug einen kurzen Bart und hatte seine dunklen Haare, wie es schien, mit einem schnellen Handgriff zur Seite gestrichen. Die Dreißig mochte er gerade überschritten haben.
»Geh nach Hause«, sagte er nach einer Weile.
»Nein, nicht heute, nicht alleine«, flüsterte ich und es war, als ob ich ihn schon fragte. Er verschränkte seine Arme und mit jeder Sekunde, in der wir nichts mehr sagten, bereute ich meine Worte mehr. Was machte ich hier bloß? Wollte ich den Hohn und die Scham noch vergrößern?
Der Unbekannte zog eine zerdrückte, blaue Zigarettenpackung aus seiner Hosentasche, zündete sich eine neue Zigarette an und nahm einige tiefe Züge.
»Was machst du denn hier?«, fragte ich.
»Warten, dass es hell wird«, sagte er.
»Warum?«, fragte ich, obwohl auch mir, seit ich alleine war, Einschlafen wie Sterben vorkam.
»Ich zerschlage in meinen Träumen Schädel wie Melonen auf
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