Glück, ich sehe dich anders
Regina – Gine -, mit der ich bereits fünfzehn Jahre lang eine dicke Freundschaft pflegte, die Mitarbeiterin von der Perspektive Meldorf aus der Abteilung Frühförderung – Frau Kirsten Hansen -, die so viel Verständnis aufbrachte, da sie durch gesundheitliche und behinderungsbedingte Fälle in ihrer eigenen Familie erfahren war, die Mitarbeiterin des Familienentlastenden Dienstes der Lebenshilfe in Meldorf – Frau Angelika Wienhold -, die mir in vielen Gesprächen so viel Mut zusprach, und ein sehr lieber Mensch, den ich über die Kommunikationsliste für Betroffene im Zusammenhang mit dem Down-Syndrom im Internet kennen gelernt hatte. Er hatte einen Sohn, der nicht geistig behindert war, aber an einem Herzfehler litt. Dieser Mann hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Eltern in besonderen Lebenslagen zu betreuen und ihnen mit Gesprächen zur Seite zu stehen.
Die vier waren mir gute Zuhörer, denen ich alles anvertrauen konnte. In die Kommunikationsliste im Internet schrieb ich täglich, manchmal sogar mehrmals am Tag. Bei jeder Panikattacke wegen des Gesundheitszustands von Louise schmiss ich meinen Computer an und schrieb alles auf, was mich bewegte. Die tröstenden Antworten kamen schnell. Es war schön zu wissen, dass dort Menschen waren, denen ich Tag oder Nacht meine schiere Verzweiflung anvertrauen konnte, und durch die schriftlichen Mitteilungen konnte ich mich etwas beruhigen. Wenn ich die Mitteilungen geschrieben und abgeschickt hatte, konnte ich ein wenig erleichtert den Computer ausschalten und einschlafen, denn ich wusste, bald würde mir jemand antworten.
Es waren mittlerweile fast drei Jahre seit Louises Geburt vergangen, und ich dachte oft an die erste Zeit mit ihr zurück. Ich schämte mich für meine damaligen Gedanken, dass es besser sei, sie würde nicht überleben. Wie hatte ich nur so denken können? Ich konnte nicht begreifen, dass wir Louise nach ihrer Geburt knapp zwei Wochen allein auf der Intensivstation gelassen und sie nur tagsüber besucht hatten. Ich schämte mich dafür, dass ich Louise manchmal ausgeschimpft hatte, wenn sie unartig gewesen war. Ich war auch davon überzeugt, viel zu wenig Zeit mit meinem Mädchen verbracht zu haben. Ich empfand mich plötzlich als Rabenmutter und konnte es mir nicht verzeihen, Louise bereits so früh in den Kindergarten geschickt zu haben, nur damit ich etwas Ruhe hatte und mich mehr um Loreen kümmern konnte. Ich hatte Angst, dass die Zeit verloren war, das alles wieder gutzumachen.
Der Kindergarten von Louise verschickte einige Briefe. Für Rolf und mich war auch ein Brief dabei. Ich ließ die Tränen laufen, während ich die Zeilen las. Die Kinder hatten Bilder gemalt und Fotos beigelegt. Auf den Fotos war Louises Gruppe beim Frühstücken zu erkennen. Louises Stuhl war leer. Alle saßen dort, nur sie fehlte. Einfach herausgerissen aus ihrer gerade beginnenden schönen Kinderzeit.
TAPFERE LOUISE,
GENÜGSAME LOREEN
T rotz der Chemotherapie konnte man Louise bei Aufenthalten zu Hause die Erkrankung nicht unbedingt ansehen. Sie war zwar blass, aber das war sie eigentlich schon immer gewesen. Sie hatte auch noch alle Haare auf dem Kopf.
Im März waren wir mit Louise – trotz Chemo! – und mit Loreen, die viel zu kurz kam in dieser Zeit, sogar zum Schlittenfahren gegangen.
Wir versuchten das, was andere tagtäglich unternehmen konnten, wenigstens hin und wieder zu machen. Fast möchte ich sagen, wir gewöhnten uns schon daran, dass die großen Probleme, die Katastrophen, an der Tagesordnung waren und wir die normalen Dinge nur in kleinen Portionen und außer der Reihe genießen konnten. Aber das stimmte nicht. Jeder neue Schicksalsschlag haute uns erst einmal um. Dass wir dennoch funktionierten, verwundert mich im Nachhinein.
Manchmal wollten Rolf und ich tagsüber gern gemeinsam bei Louise sein, dann kam Loreen mal zu den Großeltern, mal zu einer Kinderpflegerin, dann zu Nachbarn oder Freunden. Bei längeren Aufenthalten im Krankenhaus wechselten wir uns ab, denn es war zu anstrengend, mehr als einen Tag und eine Nacht auf der Station zu verbringen, und einer von uns hatte bei Loreen zu bleiben.
Rolfs Eltern nahmen die Kleine in dieser Zeit, sooft es ging, zu sich. Sie kümmerten sich um Loreen wie um ihr eigenes Kind. Sie waren selbst nicht mehr so jung, aber muteten sich die Hilfe mit erstaunlicher Fürsorge und Geduld zu.
Wir waren so dankbar dafür. Dabei lernten sie Loreens Behinderung und ihre Probleme besser kennen.
Zum Beispiel
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