Glück, ich sehe dich anders
bin wieder da!«
Loreen machte Luftsprünge vor Freude. Beide tanzten im Flur wild umher und drückten und küssten sich. Die Tage zu Hause waren für uns alle wunderschön.
In der Nachbarschaft war zu dieser Zeit eine Party angekündigt – Louises Lieblingsnachbar Frank wurde dreißig Jahre alt. Es war Sitte bei uns, dass Männer, die in diesem Alter noch nicht verheiratet waren, Sägespäne oder sonstige Kleinmaterialien an ihrem Ehrentag zusammenkehren mussten. Da Frank Elektriker von Beruf war, hatten sich seine Arbeitskollegen und Freunde etwas Besonderes einfallen lassen. Frank musste auf dem Hof seiner Eltern vor einer großen Menschenmasse als Frau verkleidet und mit Haarspangen in den Haaren Elektrokabelstücke zusammenfegen. Louise und Loreen durften mitgehen und zuschauen. Natürlich hatten wir Bedenken, dass sich Louise unter den vielen Fremden einen Infekt einfangen könnte. Aber sie war so gut drauf und wollte so gern mit, und so sprangen wir über unseren Schatten und zogen gemeinsam los.
Louise hatte großen Spaß an der Veranstaltung. Frank fegte und fegte … Nur eine Jungfrau konnte ihn durch einen Kuss von dieser Last erlösen. Louise machte es. Sie ging, ohne zu zögern, auf Frank zu und küsste ihn.
BESSERWISSERMUTTER
M ein Stressbarometer befand sich jetzt ständig im roten Bereich. Außerhalb der stationären Aufenthalte in der Kinderkrebsklinik bekam Louise einige ambulante Behandlungen. Dafür fuhren wir bereits frühmorgens mit dem Taxi in die Klinik. Louise erhielt aufgrund schlechter Blutwerte, die immer wieder nach den Chemotherapien oder den Tabletteneinnahmen vorkamen, Blutkonserven oder auch mal eine ambulante Chemotherapie. Bis 17 Uhr lag sie dann meist am Tropf. Vor 20 Uhr waren wir selten zu Hause.
An einem Tag, nachdem sie eine ambulante Chemo erhalten hatte, sagte mir die Ärztin, Louise müsse am Abend unbedingt noch ein Medikament oral einnehmen, da sich sonst nach dieser Chemotherapie die Blase entzünden könne. Sie kündigte mir an, dass dieser Saft sehr schlecht schmecke und dass unbedingt eine neue Verabreichung notwendig sei, falls Louise ihn erbrechen sollte. Sie gab mir daher zur Vorsorge zwei Portionen von dem Medikament mit. Sollte Louise auch die zweite Portion erbrechen, müssten wir in unser nahe gelegenes Krankenhaus fahren und Louise bekäme das Mittel dort per Spritze injiziert.
Ich fragte, ob ein stationärer Aufenthalt dafür nicht sinnvoller wäre, was die Ärztin jedoch verneinte. Ich besorgte Mutter machte mir natürlich auch Gedanken, ob das nahe gelegene Krankenhaus über das benötigte Mittel verfügte. Aus Erfahrung als »gute alte Besserwissermutter« war mir bekannt, dass diese Klinik auf Krebskinder nicht so gut vorbereitet war. Aber die Ärztin war sich sicher, dass die Klinik das Mittel dort schon haben werde. Erschöpft von diesem Tag, kamen wir zu Hause an. Die Kinderpflegerin hatte tagsüber Loreen versorgt, und ich gab ihr die einhundertsechzig Mark Lohn für den Tag – wir befanden uns zu diesem Zeitpunkt erst in der Umstellung von der Deutschen Mark auf den Euro.
Rolf hielt sich wegen einer Mund- und Rachenraumentzündung und der damit verbundenen Ansteckungsgefahr für die Kinder – und ganz besonders für Louise – im Haus seiner Eltern auf. Ich konnte daher den wohlverdienten »Feierabend« noch nicht genießen, da ich bis zur Schlafenszeit beide Kinder allein zu versorgen hatte. Ich gab Louise am Abend dann auch das Medikament. Sie schluckte es brav, und ich freute mich schon, dass sie der üble Geschmack anscheinend nicht störte.
Eine halbe Stunde später sah die Lage anders aus: Louise erbrach ihren kompletten Mageninhalt. Ich wartete eine Weile und gab ihr die Reserveportion. Diese erbrach sie sofort. Ich rief in der nahe gelegenen Klinik an, schilderte den Tagesablauf in der Ambulanz der Kinderkrebsklinik, welche Chemotherapie Louise erhalten hatte und dass sie leider das Medikament erbrochen habe. Ich erkundigte mich, ob es nun möglich sei, ihr das Medikament dort als Spritze zu verabreichen. Die Ärztin teilte mir mit, dass sie das Medikament nicht dahabe und auch die Krankenhausapotheke bereits geschlossen sei, man es also dort auch nicht bekommen könne. Außerdem müsse es diese Apotheke auch erst selbst bestellen, denn solch ein Medikament sei sicher nicht vorrätig. Sie riet mir, in der Kinderkrebsklinik anzurufen und das benötigte Mittel von dort zu ordern. Ich rief also umgehend auf der Kinderkrebsstation an,
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