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Glück, ich sehe dich anders

Glück, ich sehe dich anders

Titel: Glück, ich sehe dich anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Ahrens
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auf den Flur, nicht in den Essraum und nicht in das Spielzimmer, weil sie sich bei anderen Patienten anstecken konnte. Was war das für eine Klinik, in der immunschwache krebskranke Kinder in Zimmern lagen, denen gegenüber sich solche mit Kindern befanden, die Windpocken oder Scharlach hatten? Eine Kinderkrebsstation musste doch ausreichend Betten und Einzelzimmer zur Verfügung haben. Die Begründung, dass dann einige Betten öfter nicht belegt wären, weil meistens nicht so viel los war, konnte ich nicht nachvollziehen. Dann waren diese Betten eben leer. Immer noch besser, als diese armen Kinder der Gefahr auszusetzen, sich anzustecken und womöglich zu sterben.
    Louise durfte auch nicht an der frischen Luft spazieren gehen, weil sie mit dem Infusionsständer nicht zurechtkam. Ständig riss sie sich die Portnadel heraus, den Zugang zum Port, der unter ihrer Haut lag.
    Wir hatten nach wenigen Tagen in dem Einzelzimmer genug und wollten umgehend zurück auf die Kinderkrebsstation. Dort bestand der Kontakt zu anderen Eltern, und ein Zimmer, in dem ich am Abend andere Erwachsene treffen konnte, war auch vorhanden.
    Für meine Situation brachten die Ärzte jedoch wenig Verständnis auf. Mir wurde deutlich gesagt, dass die Schwestern von der Arbeit abgehalten würden, wenn ständig jemand auf der Kinderkrebsstation anriefe, um nach einem freien Bett für Louise zu fragen. Das Krankenhauspersonal konnte anscheinend nicht nachempfinden, wie es ist, wenn man sich ausrangiert und abgeschoben fühlt.
    Probleme unter den Eltern gab es auch. So war die Verständigung mit den ausländischen Familien ein großes Problem. Man konnte diesen Patienten und ihren Angehörigen nicht verständlich machen, warum die Kinder Ruhe brauchten und es einfach nicht ging, dass die gesamte Verwandtschaft stundenlang und schwatzend im Zimmer herumsaß, dabei drehten sie die Heizung auf Stufe fünf und schlössen sämtliche Fenster. Doch statt zu vermitteln, meinten Ärzte und Schwestern, die deutschen Eltern hätten wohl etwas gegen Ausländer, was absolut nicht stimmte.
    Doch der folgende Missstand bedrückte mich am meisten: Das knappe Personal machte es bei Notfällen nötig, Hilfe von einer anderen Kinderstation anzufordern. Da die anderen Stationen auf dem Krankenhausgelände ziemlich weit von der Kinderkrebsstation entfernt lagen, konnte es dauern, bis ein Arzt kam. Mir war bereits angst und bange zumute als Louise nachts fünf Stunden aus Mund und Nase blutete und die Schwestern mit viel Geduld und Fürsorge versuchten, die Blutungen zu stillen. Mir wäre es lieber gewesen, einen Arzt in der Nähe zu haben. Ein anderes Mal hatte Louise sich nachts die Nadel ihres Ports herausgerissen und an anderer Stelle wieder in die Haut gesteckt. Auch zu diesem Zeitpunkt war kein Mediziner auf der Station. Es musste erst telefoniert werden, und es dauerte eine ganze Stunde, bis endlich ein Arzt vor Ort war. Später erklärte man uns, es hätte sich in keinem Fall um einen akuten Notfall gehandelt und ausreichende Versorgung sei immer gewährleistet gewesen. Als Elternteil sieht man das anders.

SEELENTRÖSTER
    V or Louises Augen habe ich nie geweint. Ich wollte nicht, dass sie sieht, dass ihre Mama traurig ist. Meinem Kummer habe ich nur freien Lauf gelassen, wenn ich zu Hause oder im Auto allein war. Auf den Fahrten zur Klinik rollten vor mir auf der Autobahn oft Autos oder Campingwagen mit Gepäck beladen. Ich dachte dann manches Mal, wie schön die Leute es doch haben. Jetzt in den Urlaub fahren und all den Sorgen entfliehen.
    Wem – außer Rolf – sollte ich nur all meine Sorgen anvertrauen? Ich wollte niemanden belästigen. Ich hatte ja immer nur Schicksalsnachrichten zu erzählen. Wer wollte das hören? Ich hatte zu einigen Personen noch nicht wieder so viel Vertrauen gefasst, als dass ich ihnen hätte mein Herz ausschütten mögen. Und meine Eltern wollte ich auch nicht belasten. Meine Mutter hatte selbst das Bedürfnis, ihre Angst zu erleichtern, und sagte oft: »Ja, aber lebensbedrohlich ist das doch nicht, oder? Wird das denn wieder gut?« Was sollte ich auf diese Fragen antworten, die ich selbst gern beantwortet gehabt hätte? Wen hätte ich anrufen sollen, wenn Rolf mit Louise in der Klinik und ich allein zu Hause war und nachts panisch aus dem Schlaf hochschreckte, nicht schlafen konnte und mich danach sehnte, über alles zu reden? Es gab nur wenige Menschen in meiner Umgebung, die mir zu jeder Zeit beistanden: Das waren meine Freundin

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