Glück muß man haben
seinem Block und wollte anfangen, aufzuzählen, was getrunken worden war. Sofort fuhr ihm aber Robert über den Mund: »Hau ab, du Arschloch!«
Robert war, wie schon erwähnt, derjenige, dem noch die Sporen fehlten. Anscheinend wollte er sie sich ausgerechnet hier verdienen. Er haute deshalb ganz besonders auf die Pauke. Wenn ihnen jetzt nicht sofort das überfällige Bier serviert würde, sagte er zum Kellner, sähe er sich gezwungen, ihn sich ganz persönlich an die Brust zu nehmen.
Langsam merkte Marianne, daß sie sich übernommen hatte. Ein erster hilfloser Blick ging hinüber zu Wilhelm.
Der Kellner Heinrich kochte innerlich, fühlte sich aber zu schwach, um seinem seelischen Aufruhr jenen äußeren Ausdruck zu verleihen, der ihm hier als angebracht erschienen wäre. Die hohe Zeche interessierte ihn nicht mehr. Die Rotznase, die auf ihm herumtrampelte, hätte, dem Alter nach, fast sein Enkel sein können, genau wie die anderen beiden auch. Denen müßte richtig das Maul gestopft werden, wünschte sich Heinrich – aber von wem?
Das Gastzimmer war zwar noch halb voll, doch daß ihm von den Anwesenden Hilfe erwachsen könnte, daran glaubte der Kellner nicht. Die Situation war ihm ja nichts Neues. Ein Teil der Leute tat immer so, als ob er noch gar nicht gemerkt hätte, was vorging; der andere Teil verfolgte das Geschehen zwar durchaus mit Interesse, aber leider nur mit passivem – mit anderen Worten: Er hielt sich raus. Diese Erscheinung hatte längst um sich gegriffen, nicht nur in Gasthäusern, sondern auch mitten auf den Straßen und Plätzen der Städte, in Parks, in öffentlichen Verkehrsmitteln. Besonders wenn Rocker einer Szene das Gepräge gaben, blieb der spontane Widerstand aus, der ihnen hätte entgegengesetzt werden müssen. Der fatale Respekt, der ihnen gezollt wurde, war Allgemeingut geworden.
»Und du«, sagte Robert zu Marianne, »fällst mir auch langsam auf den Wecker, genau wie das alte Arschloch, dem ich noch eine Minute Zeit gebe. Wenn dann nicht unser Bier auf dem Tisch steht, müßt ihr den Notarzt für ihn rufen. Sag ihm das, du Trulla!«
Die Ohrfeige, die er dafür von Marianne kassierte, kam blitzschnell und war nicht von schlechten Eltern. Sie überraschte Robert. Eine Ohrfeige von einem Mädchen, das war ihm etwas Neues. In seinen Kreisen gab's das nicht. Da hatte schon der Opa die Oma verprügelt, der Vater die Mutter, der Bruder die Schwester. Und an dieser Sicht zwischengeschlechtlicher Beziehungen wollte Robert nicht rütteln lassen. Er sprang auf, holte aus –
»Wilhelm!« rief Marianne.
Theodor hinter seiner Theke wählte die letzte Ziffer der Telefonnummer des Polizeireviers.
Mariannes Ruf wäre zu spät gekommen, wenn Wilhelm nicht schon vorher reagiert hätte. Roberts Hintern schwebte noch keine zehn Zentimeter über seinem Stuhl, als Marianne bereits des augenblicklich einsetzenden Beistands, den sie benötigte, sicher sein konnte. Roberts Ausholen erfuhr einen jähen Abbruch. Am Arm gepackt, fühlte sich Robert herumgerissen, und dann brachen arge acht oder zehn Sekunden für ihn an. Acht oder zehn Sekunden sind normalerweise eine sehr kurze Frist; sie können einem aber auch unendlich lang werden. Robert durchkostete nun die zweite Kategorie. Als die Zeit vorüber war, lag Robert draußen auf der Straße, mit einer großen Lücke im Gebiß, mit einem rechten Auge, das auf dem raschen Wege, sich zu schließen, war, mit einem tauben Ohr, mit drei gebrochenen Rippen und mit einem Arm, von dem er das Gefühl hatte, daß er ihn nie mehr würde gebrauchen können.
Auf Resultate, die ganz ähnlich waren, konnte kurz darauf auch Mike zurückblicken. Mike hatte, als das Verhängnis über seinen Freund Robert hereingebrochen war, versucht, sich auf Wilhelm zu stürzen. Diesem Bemühen setzte ein blitzschneller Tritt Wilhelms in Mikes Hoden ein Ende. Der Tritt war gewissermaßen ein Nebenprodukt Wilhelms für Mike, da er zu diesem Zeitpunkt in der Hauptsache noch mit Robert befaßt war. Bis Wilhelm dann Robert draußen auf der Straße deponiert hatte, war für Mike die Empfindung, daß ihn ein Pferd getroffen hatte, wieder geringer geworden, so daß er glaubte, ein stummes Angebot Wilhelms in den Wind schlagen zu können. Wilhelm zeigte mit dem Daumen zur Tür. Das hieß: Raus, auch mit dir!
Statt diese Chance wahrzunehmen, nahm Mike mit gespreizten Beinen Kampfpositur ein und brüllte: »Komm her, du Hund!«
Ehrlich gesagt, war es weniger ein Brüllen, sondern mehr ein
Weitere Kostenlose Bücher