Glück muß man haben
mit: »Der muß verschwinden, ehe es losgeht. Nur so bleibt der Friede gewahrt.«
Marianne hatte die jüngeren Beine, erreichte das Erdgeschoß schneller und stieß als erste die Tür zum Gastzimmer auf. Nichts Ungewöhnliches war im Gange. Das überraschte sie, hatte sie doch schon befürchtet, daß Stühle flogen und Glas splitterte. Ihr Blick ging zu dem Platz, wo sie Wilhelm sitzen wußte. Er guckte gerade in eine Illustrierte. Niemand schien ihm an den Kragen zu wollen. Kein Stück von ihm fehlte, er war noch ganz. Mariannes Schreck legte sich. Nun erst fing sie an, das zu überdenken, was Vater ihr mitgeteilt und womit er sie in Panik versetzt hatte. Anscheinend blinder Alarm, dachte sie und fragte sich, was dahintersteckte.
Blinder Alarm war jedoch keiner ausgelöst worden. Im Gegenteil, gerade durch Mariannes Erscheinen im Gastzimmer bestand Gefahrenstufe 1. Oder anders ausgedrückt: Der Countdown hatte begonnen.
»Da ist sie«, machte Ted seine Kumpanen auf Marianne aufmerksam. »Wenn sie sich zu ihm setzt, bist du an der Reihe, Robert.«
Robert war der mit dem Auftrag, sich eine dreckige Bemerkung von den Lippen fließen zu lassen. Der andere hieß Mike. Robert mußte sich die Sporen noch verdienen. Erst dann würde er sich ›Bob‹ nennen dürfen.
»Vorher möchte ich aber noch unser Bier trinken«, sagte Mike.
Daraufhin meinte Ted, Ausschau nach dem Ober haltend: »Wie lange dauert denn das? Wo bleibt denn der Scheißkerl?«
Die Mitteilung des Obers, daß das neue Faß noch Schwierigkeiten mache, quittierte Robert mit der Bemerkung: »Wenn ihr das nicht im Griff habt, dann laßt euch doch in Zukunft nur noch Flaschen von der Brauerei liefern.«
Marianne hatte inzwischen ihren Vater in die Küche gelotst. Dort sagte sie zu ihm: »Warum machst du die Pferde scheu? Es ist doch alles in Ordnung!«
»In Ordnung? Hast du die an Tisch sechzehn gesehen?«
»Die drei, ja.«
»Die sind ganz wild darauf, Stunk zu machen.«
»Wer sagt das?«
»Heinrich.«
Heinrich, der Kellner, war ein alter Hase, dessen Gespür auch von Marianne nicht auf die leichte Schulter genommen werden konnte.
»Du kannst ihn selbst fragen«, sagte Theo, und Heinrich wurde daraufhin hereingerufen in die Küche.
Er bestätigte das, was Theo gesagt hatte. Er ließ überhaupt keinen Zweifel daran aufkommen, auf wen es das Schläger-Trio abgesehen hatte: auf den jungen Mann am Tisch dreizehn.
An Mariannes Auge zogen rasch die Ereignisse im Kassenraum des Kinos, das sie mit Wilhelm hatte besuchen wollen, vorüber.
»Hat denn der denen Anlaß zum Streit gegeben?« fragte sie den Kellner.
»Nicht im geringsten«, lautete Heinrichs Antwort. »Ich glaube sogar, der ahnt jetzt noch nicht, was die gegen ihn im Schilde führen.«
Marianne fühlte sich erleichtert. Sie blickte ihren Vater an.
»Das scheinst du nicht gewußt zu haben, daß Wilhelm der Unschuldige ist.«
»Das spielt doch keine Rolle.«
»O doch!«
»Warum?«
Mit Marianne ging eine Wandlung vor sich. Sie war wieder nicht mehr das fügsame Kind von früher, sondern das aufsässige junge Mädchen, an das sich Theodor Berger partout nicht gewöhnen wollte.
»Weil du sonst nicht auf die Idee gekommen wärst«, erwiderte sie, »ihn aus dem Lokal zu entfernen, sondern die anderen.«
»Doch«, trat Theo die Flucht nach vorn an, »auf diese Idee bin ich gekommen – und nicht nur ich! Auch Heinrich hatte sie, wenn dich das beruhigt; er –«
»Das beruhigt mich nicht!« unterbrach sie ihn und richtete ihren zornigen Blick auf den Kellner. »Ich kann nur hoffen, daß es nicht stimmt!«
»Ich … ich dachte ans Geschäft, an den Umsatz«, stotterte Heinrich verlegen. Dann entschloß er sich, aus der Küche zu retirieren, um weiteren Angriffen Mariannes zu entgehen. Ihm war klargeworden, daß mit dieser Tochter des Chefs nicht mehr gut Kirschen essen war.
Zum erstenmal versuchte sich nun auch Mutter Sabine einzumischen. Sie war bis zu diesem Moment stumm dabeigestanden, hatte lediglich zu Beginn der Auseinandersetzung die beiden Mädchen aus der Küche verscheucht.
»Was ist denn eigentlich los?« fragte sie.
Marianne und Theo wetteiferten darin, es ihr – jeder von seiner Warte aus – zu berichten. Sie fielen dabei einander immer wieder ins Wort. Zuletzt war es aber Marianne, die erregt sagte: »Und das Schönste ist, daß er mich dazu ausersehen hat, seine Schweinerei mitzumachen.«
Sabine entschloß sich zu einem Schachzug.
»Und warum nicht?« erwiderte sie.
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