Glück muß man haben
Bernin kam Wilhelm mit der Antwort zuvor.
»Herr Vorsitzender«, sagte er zum Richter, »die Deutschkenntnisse meines Mandanten reichen absolut aus. Das Gericht wird sich davon überzeugen können.«
»Aber aus dem polizeilichen Vernehmungsprotokoll geht das nicht so sicher hervor.«
»Das war vor Monaten.«
»Und inzwischen hat, wollen Sie sagen, Ihr Mandant dazugelernt?«
»Ja.«
Der Vorsitzende schien nicht so ganz überzeugt, aber er sagte: »Na gut, dann können wir ja anfangen.«
Erklärlicherweise wirkte dieses Intermezzo zwischen dem Vorsitzenden und dem Verteidiger auf Wilhelm demütigend. Es schädigte ihn in seinem Selbstwertgefühl und nahm ihn daher noch mehr ein gegen die ganze Veranstaltung hier.
»Also, Herr Thürnagel«, begann der Vorsitzende noch einmal, »Sie haben gehört, was Ihnen die Staatsanwaltschaft zum Vorwurf macht …«
»Ja.«
»Wie stellen Sie sich dazu? Was haben Sie uns zu sagen? Wahrscheinlich wollen Sie das meiste bestreiten?«
»Nein.«
Die Augen aller im Saal – nicht nur die des Vorsitzenden – richteten sich überrascht auf Wilhelm.
»Sie wollen das nicht bestreiten?«
»Nein«, wiederholte Wilhelm.
»Was wollen Sie dann?«
»Die Wahrheit sagen.«
»Sehr gut!« konstatierte der Vorsitzende, erfreut den Schöffen an seiner Linken, dann den zu seiner Rechten, dann wieder Wilhelm anblickend. »Mal was ganz Neues. Das verkürzt ja das Verfahren enorm. Dürfen wir also annehmen, daß das, was in der Anklageschrift steht, stimmt?«
»Ja.«
Der Verteidiger sprang auf.
»Herr Vorsitzender –«
»Bleiben Sie sitzen«, wurde er vom Richter beschieden, »Sie kommen schon noch dran. Im Moment spreche ich nur mit dem Angeklagten. Wenn Sie an der Reihe sind, erteile ich Ihnen das Wort.«
»Ich möchte nur –«
»Später, Herr Rechtsanwalt!«
Dr. Bernin setzte sich wieder, mit resigniertem Blick.
»Herr Thürnagel«, fuhr der Richter fort, »Sie geben also das Delikt der Körperverletzung, das Ihnen zur Last gelegt wird, zu?«
»Ja.«
»Sie machen keine Notwehr geltend?«
»Nein.«
»Dann müssen Sie uns aber sagen, warum Sie den zusammengeschlagen haben.«
»Weil die Dame in meiner Begleitung beleidigt wurde.«
»Worin bestand diese Beleidigung?«
»Sie wurde als Ausländernutte bezeichnet.«
»Mehr nicht?«
Wilhelms Blick flammte auf.
»Das genügte!«
»Ich meinte«, bügelte der Richter den Fehler etwas aus, den er zweifelsohne gemacht hatte, »daß da ja noch etwas hinzugekommen sein könnte: daß der z.B. auch noch ausgespuckt hat. War das – oder etwas Ähnliches – der Fall?«
»Nein.«
»Das Schimpfwort allein hat also Ihre Affekthandlung ausgelöst?«
»Ja.«
»Hätten Sie sich keine andere Reaktion von Ihnen vorstellen können?«
»Welche denn?« fragte Wilhelm mit einer Schroffheit, die einem Angeklagten keineswegs zuzubilligen war.
»Eine Beleidigungsklage.«
»Dazu hätte ich den Namen des Betreffenden erfahren müssen.«
»Sicher.«
»Sie meinen, ich hätte den danach fragen sollen?«
Der Richter merkte, daß er sich vergaloppiert hatte, und war bestrebt, sich wenigstens halbwegs aus der Affäre zu ziehen, indem er sagte: »Zumindest versuchen hätten Sie das können.«
Im Zuhörerraum wurde leises Gelächter laut.
»Dann wären wir genausoweit gewesen«, erwiderte Wilhelm trocken. »Nur hätte der mich zusammengeschlagen, wenn ich ihm nicht zuvorgekommen wäre.«
»Dann säßen aber jetzt auch nicht Sie auf der Anklagebank, sondern er.«
Wilhelm zuckte mit den Achseln.
»Meine Herren«, sagte daraufhin der Richter zu seinen Schöffen, zum Staatsanwalt und auch zum Verteidiger, »ich glaube, wir können uns hier, nachdem der Angeklagte uneingeschränkt geständig ist, einiges an Zeugeneinvernahme ersparen …«
Allgemeines zustimmendes Kopfnicken, sogar auch vom Verteidiger, der innerlich dazu übergegangen war, einen solchen Mandanten sich selbst zu überlassen.
Der Vorsitzende blickte in seine Akte, blätterte darin herum, fand anscheinend das, was er suchte, und sagte:
»Dann möchte ich eigentlich nur noch die Zeugin Marianne Berger – wegen der Beleidigung – und natürlich den Verletzten selbst hören. Zuerst aber die Berger, das dürfte am raschesten gehen …«
Ganz so rasch ging es aber mit der dann doch nicht.
»Fräulein Berger«, begann der Vorsitzende, nachdem der Gerichtsdiener sie hereingerufen hatte und ihre Personalien festgestellt worden waren, »zu Ihrer Information: Der Angeklagte ist voll
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