Glück muß man haben
geständig. Was das Gericht von Ihnen noch wissen möchte, ist die Antwort auf eine einzige Frage: Fühlten Sie sich damals durch den Ausdruck, der fiel, beleidigt?«
»Natürlich«, erwiderte Marianne.
»Sehr?«
»Außerordentlich.«
»Aber Sie haben nicht auf den Angeklagten eingewirkt, gewalttätig zu werden?«
»Doch.«
Ganz kurze Stille.
Dann rief Wilhelm von der Anklagebank her: »Marianne!«
Marianne drehte sich nach ihm um.
»Doch?« fragte der Richter höchst überrascht.
»Ja«, nickte Marianne. »Normalerweise wäre ja überhaupt nichts passiert. Leider wollte ich das in jenem Moment nicht einsehen. Jedenfalls wäre Herr Thürnagel von sich aus mit Sicherheit nicht gewalttätig geworden.«
»Er ist aber gewalttätig geworden!«
»Weil ich das von ihm erwartet habe. Ich wollte, daß er mir Genugtuung verschafft.«
Wieder machte sich Wilhelm bemerkbar.
»Marianne, was redest du da für einen Quatsch? Was soll das? Davon ist doch kein Wort wahr!«
Sie hörte ihn nicht.
»Wenn er«, sagte sie zum Richter, »nicht so reagiert hätte, wie ich es erwartete, wäre er für mich absolut erledigt gewesen.«
»Haben Sie denn etwas zu ihm gesagt, ihm etwas zugerufen?«
»Nein, das nicht«, entgegnete sie ohne das geringste Zögern. »Aber das war auch nicht nötig. In solchen Momenten genügt ein Blick, und der war damals von mir eindeutig.«
»Die lügt!« schrie Wilhelm mit zorniger Stimme.
Nun wandte sich Marianne ihm zu.
»Ich lüge nicht! Ich sage die Wahrheit!«
»Und wie du lügst! Merkst du denn nicht, welches Licht durch das, was du hier erzählst, auf dich fällt? Die Wahrheit ist, daß du mit der Sache überhaupt nichts zu tun hast, verdammt noch mal! Nur ich ganz allein! Du warst mir im Gegenteil sogar furchtbar böse und hast mich mit Vorwürfen überschüttet – oder stimmt das vielleicht nicht?«
»Nein«, sagte Marianne fest.
Daraufhin griff sich Wilhelm an den Kopf und stöhnte: »Ich werde wahnsinnig!«
»Sie sind jetzt mal still und bleiben es«, sagte der Richter streng zu ihm, und als das nicht fruchten wollte, drohte er ihm die Verhängung einer Ordnungsstrafe an.
Dann ging's wieder mit Marianne weiter. Und zwar brachte jetzt der Staatsanwalt ihr gegenüber einen Verdacht zum Ausdruck.
»Wissen Sie«, meinte er, »ich könnte mir denken, daß Ihre Aussagen zugunsten des Angeklagten beeinflußt werden von eventuellen Beziehungen zwischen Ihnen und ihm. So etwas erleben wir hier immer wieder.«
»Aber nicht heute«, entgegnete Marianne schlagfertig.
»Nicht?«
»Nein! Beziehungen, wie Sie sie meinen, gab es zwar mal zwischen Herrn Thürnagel und mir, aber nur ganz kurze Zeit. Inzwischen sind sie längst abgebrochen. Wir sehen uns nicht mehr.«
Damit war auch der Staatsanwalt ›bedient‹. Die Zeugin Marianne Berger wurde vom Gericht entlassen; sie durfte gehen. Anschließend verkündete der Vorsitzende eine Pause von zehn Minuten, obwohl die Verhandlung noch gar nicht so lange gedauert hatte. Der Grund stand in keinem Zusammenhang mit dem Verfahren, sondern lag auf einem anderen Gebiet. Und zwar war der Vorsitzende ein wahnsinnig starker Raucher, der sich deshalb zu häufigen Unterbrechungen seiner Verhandlungen gezwungen sah.
Schöffen, Vorsitzender und Staatsanwalt verschwanden im Beratungszimmer, alle anderen gingen hinaus auf den Flur, um sich ein bißchen die Beine zu vertreten oder eben auch eine Zigarette zu rauchen.
Auf dem Flur war Stummel zu sehen, wie er mit dem Trio sprach, das vom Staatsanwalt dazu ausersehen war, dem Angeklagten das Genick zu brechen. Das Trio war: Georg Kozurka, der Verletzte; seine zwei Freunde. Überraschenderweise schien es Stummel gelungen zu sein, einen geradezu herzlichen Kontakt mit den dreien herzustellen. Er scherzte mit ihnen, puffte sie in die Seite und nannte sie abwechselnd ›Kollegen‹ oder ›Kameraden‹. Man mußte sich fragen, wie das soweit hatte kommen können.
Nun, Stummel hatte sich, wie schon erwähnt, kurz vor Beginn der Verhandlung an das Trio rangemacht. Dann hatte die Zeugenbelehrung im Saal stattgefunden, und als die drei wieder herauskamen auf den Flur, liefen sie direkt Stummel in die Arme, der ihnen verkündete: »Ich muß mit euch sprechen.«
»Was wollen Sie?« fragte Kozurka barsch.
»Mich kannst du ruhig duzen«, antwortete Stummel. »Ich bin der gleiche Lohnempfänger wie ihr. Und noch etwas bin ich, wenn ich mich nicht täusche, genauso wie ihr.«
»Was?«
»Schalke-Fan.«
Wie auf Kommando
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