Glück muß man haben
Zeit‹?«
»Sagen wir, im Lauf der nächsten zwei Monate«, entgegnete Tyk. »Oder –«
In diesem Moment läutete, wie erwähnt, das Telefon. Borm hob ab. Am Apparat war einer der vielen Spinner, mit denen es Fußballvereine immer zu tun haben. Diese Leute sind davon überzeugt, den Stein der Weisen im Fußballsport gefunden zu haben. Allen ist eigen, daß sie klüger sind als der jeweilige Nationaltrainer, mit dessen Mannschaftsaufstellungen sie niemals einverstanden sind. Sie schreiben Leserbriefe an die Sportredaktionen der Presse. In die Geschäftsstellen der Bundesligavereine dringen sie sogar persönlich vor. Zumindest belästigen sie sie mit Briefen und Telefonanrufen. Alfred Borm mußte gerade wieder einen solchen Fall durchstehen.
Er ließ den Mann quatschen, deckte die Muschel mit der Hand zu und sagte, die Augen verdrehend, zu Tyk: »Einer aus dem Jenseits. Weißt du wer?«
»Wer denn?«
»Sepp Herberger.«
Tyk lachte.
»Was rät er uns?«
»Daß wir uns einen Spieler unter den Nagel reißen sollen, der alles in den Schatten stellt, was es bisher gegeben hat. Wir hätten ihn angeblich vor der Nase. Wir brauchten nur zuzugreifen.«
Der Geschäftsstellenleiter hörte auf, mit dem Zeugwart zu sprechen, nahm die Hand von der Muschel und sagte: »Ja ja, das machen wir, wir sehen uns den an, Herr … wie war Ihr Name? … Heinrich? … Danke. Sie können sich darauf verlassen, ich spreche mit dem Trainer … ja ja … sicher … das ist absolut richtig, Herr Heinrich …«
Borm deckte die Muschel wieder zu, verdrehte abermals die Augen und sagte zu Tyk: »Jetzt erzählt er mir, wo dieses Veilchen im verborgenen blüht. Weißt du, wo?«
»Wo?«
»Bei einer Firmenmannschaft.«
Darüber konnte Tyk nicht einmal mehr lachen.
»Leg doch auf«, sagte er.
So etwas gehörte aber nicht zu den Verhaltensweisen des Geschäftsführers Borm, der auch einen Spinner nicht vor den Kopf stoßen wollte, da er wußte, daß gerade die verrücktesten Fans auch die treuesten sind. Er fuhr daher fort, dem Mann am Telefon zuzuhören und dessen restlichen Blödsinn über sich ergehen zu lassen. Dabei schloß er allerdings die Augen und senkte den Kopf auf die Brust, um in dieser charakteristischen Stellung das Ganze leichter zu ertragen.
Der Zeugwart Tyk überlegte, ob er nicht gehen und später wiederkommen sollte.
Plötzlich riß Borm die Augen auf und zugleich den Kopf hoch.
»Was sagten Sie!« rief er in die Muschel.
Tyk sah, daß Borms Gesicht einen Ausdruck überraschter Spannung angenommen hatte, und das veranlaßte ihn, noch einmal auf seinen Stuhl, von dem er sich schon halb erhoben hatte, niederzusinken. Dazu trug auch noch bei, daß Borm ihm, den Hörer ans Ohr gepreßt, winkte, noch nicht zu gehen.
Die Äußerungen des Spinners erschienen dem Geschäftsstellenleiter auf einmal wichtig genug, um den Hörer vom rechten ans linke Ohr zu wechseln und sich mit seiner Schreibhand, die dadurch frei wurde, Notizen zu machen. Zum Schluß sagte er: »Vielen herzlichen Dank, Herr Heinrich. Sie können sich darauf verlassen, daß wir reagieren werden, ganz gewiß. Vielleicht haben Sie unserem Verein tatsächlich einen großen Dienst erwiesen.«
Als der Hörer auf der Gabel lag, fragte der Zeugwart Tyk: »Was war denn das plötzlich?«
Borm machte es spannend. Er blickte auf den Zettel mit den Notizen, unterstrich etwas, legte den Schreiber weg und ließ endlich die Bombe platzen, indem er sagte:
»Hinter dem ist der 1. FC Köln schon her.«
»Mach mich nicht schwach.«
»Das gleiche empfand ich auch, als ich es hörte.«
»Hinter einem Firmenkicker?«
»Ja«, nickte Borm. »Aber der soll russischer Juniorennationalspieler gewesen sein.«
»Und der treibt sich hier rum?«
»Ja – und ist zu haben für 'n Appel un en Ei.«
Tyk schüttelte den Kopf.
»Das kann doch alles nicht wahr sein!«
»Dachte ich erst auch, Walter – bis der das vom 1. FC Köln sagte. Das hat mich gepackt. Stell dir vor, die kommen uns zuvor und das wird in Gelsenkirchen bekannt. Die Fans jagen uns aus der Stadt.«
»Allerdings.«
»Möchtest du so etwas riskieren?«
»Nein.«
Geschäftsführer Borm nahm den Zettel mit den Notizen, den er während dieses Gesprächs mit dem Zeugwart auf dem Schreibtisch hin und her geschoben hatte, an sich und sagte: »Dann laß uns aktiv werden …«
Zum Aufruf kam vor dem Schöffengericht beim Amtsgericht Gelsenkirchen die Strafsache gegen Wilhelm Thürnagel wegen Körperverletzung. Es war
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