Glücklich die Glücklichen
Frauen waren voller Armbänder. Ich wusste nicht, was ich Hélène antworten sollte. Ich betrachtete die bunte, triste Welt, die an uns vorbeizog. Hélène sagte, sollen wir das Fort Carré besuchen ? Oder das Archäologische Museum ? – Ist gut. – Welches denn ?, meinte Hélène. – Was dir lieber ist. – Dann vielleicht das Archäologische. Da sind Kunstgegenstände drin, die sie in griechischen und phönizischen Schiffen gefunden haben. Vasen, Schmuck. – Großartig. In irgendeiner Straße in der Nähe war mir ein Bistro aufgefallen, wo die Rennen live übertragen wurden. Ich sagte, Bilette, wie wär’s, wir gehen für ein Stündchen getrennte Wege ? Hélène sagte, wenn du in diese Bar gehst, fahre ich auf der Stelle nach Paris zurück. Sie nahm mir die Paris Turf weg, die ich zusammengerollt in der Tasche stecken hatte, und wedelte mir damit vor der Nase herum. – Was hat man denn davon, verheiratet zu sein, wenn man nie was zusammen macht ? Was ? – Die Phönizier langweilen mich, Bilette. – Wenn die Phönizier dich langweilen, dann hättest du uns halt nicht das Turnier versauen sollen. – Das war doch nicht ich, der uns das Turnier versaut hat. – Nein, nicht du ? Nicht du warst das, der ausgerastet ist, der mich beleidigt und der über den Tisch gereihert hat ? – Doch, das war ich. Aber nicht ohne Grund. Wir waren auf die Straße geraten, und ein Auto hupte uns heftig an. Hélène schlug mehrmals mit der Zeitschrift auf die Motorhaube. Der Typ beschimpfte sie aus dem Fenster, sie brüllte, halt’s Maul ! Ich wollte sie am Arm nehmen, um sie wieder auf den Gehweg zu ziehen, aber sie wehrte sich. – Du hast die Karo-Zwei ausgespielt, Raoul, da dachte ich, du hättest eine Karo-Figur. – Hätte ich gewollt, dass du Karo zurückspielst, hätte ich die Treff-Zwei gelegt. – Woher soll ich wissen, dass du den Treff-König hast ? – Das weißt du nicht, aber wenn du siehst, dass ich die Neun lege, musst du annehmen, dass das eine Zumarke ist. Wie heißt das, Hélène, wenn dein Partner eine Neun legt ? Eine Zu-mar-ke. – Das habe ich falsch gedeutet. – Das hast du nicht falsch gedeutet, du achtest nicht auf die Karten, seit Jahren achtest du nicht auf die Karten. – Woher weißt du das, du spielst ja nie mehr mit mir ! – Ja, mit gutem Grund ! Eine kleine Gruppe hatte sich rings um uns gebildet. Hélènes rosa Strohhut war zu groß (da hatte sie recht), und ich kam mir mit meinem Hut ein bisschen lächerlich vor. Hélène hatte Tränen in den Augen, und ihre Nase rötete sich. Ich bemerkte, dass sie sich offensichtlich eine Art provenzalisches Ohrgehänge gekauft hatte. Plötzlich überkam mich Zärtlichkeit für diese kleine Frau meines Lebens, und ich sagte, verzeih, meine süße Bilette, ich rege mich auf wegen nichts und wieder nichts, komm, wir gehen in dein Museum, ein paar Amphoren und all so was, das wird mir guttun. Während ich sie fortzog (und den Gaffern kurz zuwinkte), sagte Hélène, aber wenn dich die alten Steine langweilen, Rouli, dann gehen wir woandershin. Nein, die langweilen mich gar nicht, sagte ich, und schau her, was ich mache. Mit feierlicher Geste nahm ich ihr Paris Turf aus der Hand und warf die Zeitschrift in einen Abfalleimer. Während wir Arm in Arm durch die engen Gässchen liefen, sagte ich, und danach machen wir einen Abstecher ins Kasino. Die machen um sechzehn Uhr auf. Wenn du keine Lust hast, mir beim Black Jack zuzusehen, spielst du eben Roulette, Bilette.
Virginie Déruelle
Schon im Treppenhaus hörte ich Edith Piaf heulen. Ich weiß nicht, wie die anderen Alten diese Lautstärke ertragen. Diese Jammerstimmen und diese kehlig gerollten Rs mag ich überhaupt nicht. Das finde ich aggressiv. Meine Großtante ist in einem Altenheim. Ich sollte besser sagen, in einem Altenzimmer, denn sie verlässt es fast nicht mehr, und ich an ihrer Stelle würde es genauso machen. Sie macht Häkel-Patchwork. Bettüberwürfe, Kissenhüllen oder viereckige Lappen, die zu nichts nütze sind. Zu rein gar nichts, denn die Kreationen meiner Großtante sind fürchterliche, altmodische Staubfänger. Man nimmt sie, tut so, als freute man sich, und steckt sie zu Hause sofort ganz nach hinten in den Schrank. Aus Aberglauben traut sich keiner, sie wegzuwerfen, aber man kann sie auch niemandem schenken. Vor kurzem hat sie einen CD -Player installiert bekommen, der leicht zu bedienen ist. Sie liebt Tino Rossi. Aber sie hört auch Edith Piaf und manche
Weitere Kostenlose Bücher