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Glücklich die Glücklichen

Glücklich die Glücklichen

Titel: Glücklich die Glücklichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Reza
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Fenster eine Werbung für Etagenheizungen. Konnte er Kinder haben ? Natürlich. Jeder x-Beliebige konnte Kinder haben. Ich hätte gern gewusst, mit welchem Typ Frau. Ich hätte ihn gern gefragt, ob er verheiratet war, aber ich tat es nicht. Er tat mir leid, und ich mir auch. Zwei fast schon Alte, die durch Paris geschuckelt wurden, ihr Leben auf dem Buckel. Er hatte neben sich eine abgeschabte Ledertasche abgestellt, eine Art Aktentasche. Der Griff war ausgeblichen. Er wirkte sehr einsam auf mich. Seine Körperhaltung, seine Kleidung. Man sieht das, wenn sich keiner um einen Menschen kümmert. Vielleicht hatte er jemanden, aber keine, die sich um ihn kümmerte. Ich verhätschele meinen Rouli. Man kann sogar sagen, ich gehe ihm auf die Nerven. Ich suche ihm die Kleidung aus, ich färbe ihm die Augenbrauen, ich hindere ihn am Trinken oder am Aufessen der Knabbermischung. Ich bin auf meine Weise auch allein. Raoul ist sanft und liebevoll (außer wenn wir Bridgepartner sind, dann verwandelt er sich), aber ich weiß, dass er sich mit mir langweilt (außer wenn wir ins Kino gehen). Er ist glücklich mit seinen Kumpeln, er hat sich ein Dasein außerhalb der realen Dinge und der üblichen lästigen Pflichten erfunden. Meine Freundin Chantal sagt, Raoul ähnelt einem Politiker. Immer abwesend, auch wenn er da ist. Damien zog irgendwann aus. Ich zwang mich sogar fast dazu, ihn rauszuwerfen. Als ich danach sein Zimmer putzte, fand ich Spuren aus allen Stadien. Einmal setzte ich mich abends auf sein Bett und weinte, als ich eine Schachtel voll bemalter Kastanien öffnete. Die Kinder gehen fort, das muss so sein, das ist normal. Igor Lorrain sagte, ich steige hier aus, komm mit. Ich schaute nach dem Namen der Haltestelle, es war Rennes-Saint-​­Placide. Ich sagte, ich steige Pasteur-Docteur-Roux aus. Er zuckte die Achseln, als wäre das die allerletzte Station, die man sich vorstellen konnte. Er stand auf. Er sagte, komm, Hélène. Komm, Hélène . Und streckte mir die Hand hin. Ich dachte, er ist vollkommen irre. Ich dachte, wir sind noch am Leben. Ich legte meine Hand auf seine. Er zog mich vor den anderen Fahrgästen zum Ausgang, und wir stiegen aus dem Bus. Es war schönes Wetter. Auf der Straße war eine Baustelle. Wir schlüpften in ein Labyrinth aus Hohlblocksteinen und Schildern, um die Rue de Rennes zu überqueren. Die Leute liefen in beiden Richtungen und rempelten sich an. Alles war laut. Igor hielt meine Hand fest. Dann waren wir auf dem Boulevard Raspail. Ich war ihm unendlich dankbar, dass er mich nicht losließ. Die Sonne blendete mich. Ich erblickte, als wäre es das erste Mal, die Baumreihen auf dem Mittelstreifen, die Beete in ihrer blaugrünen schmiedeeisernen Einfassung. Ich hatte keine Ahnung, wo wir hinliefen. Ob er es wusste ? Einmal hatte Igor Lorrain zu mir gesagt, es war ein Fehler, dass ich in die menschliche Gesellschaft geboren wurde. Gott hätte mich in die Steppe schicken und zum Tiger machen müssen. Ich hätte gnadenlos über mein Revier regiert. Wir gingen wieder hoch, Richtung Denfert. Er sagte zu mir, du bist ja immer noch so klein. Er war so groß wie früher, aber dicker. Ich lief ein Stück, um mit ihm Schritt zu halten.

Jeannette Blot
    Ich sehe grässlich, grässlich, grässlich aus. Ich will nicht mal aus der Umkleidekabine raus, um mich Marguerite zu zeigen. Ich kann einfach kein anliegendes Kleidungsstück tragen. Ich habe keine Taille mehr. Meine Brust ist größer geworden. Ich kann mein Dekolleté nicht zeigen. Früher schon. Jetzt nicht mehr. Marguerite ist kein bisschen realistisch. Sie selber geht übrigens immer nur mit enganliegenden Halsketten oder einem kleinen Schal aus. Meine Tochter und meine Schwägerin haben sich in den Kopf gesetzt, mich neu einzukleiden, zu wer weiß welchem psychologischen Zweck. Als wir neulich Abend meinen Siebzigsten feierten, sagte Odile zu mir, du ziehst dich nicht an, Maman, du bedeckst dich mit Textilien. – Na und ? Wer schaut mich denn an ? Ernest bestimmt nicht. Dein Vater weiß nicht mal mehr, dass ich einen Körper habe. Am nächsten Tag rief sie mich an und erzählte, als sie bei Franck und Söhne vorbeigekommen sei, habe sie im Schaufenster ein braunes Kleidchen mit einer orangen Borte gesehen. – Das würde dir blendend stehen, Maman, sagte sie. An der Schaufensterpuppe hatte es tatsächlich einen gewissen Schwung. – Passt es ?, fragt Marguerite auf der anderen Seite des Vorhangs. – Nein, nein, überhaupt nicht ! –

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