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Glücklich die Glücklichen

Glücklich die Glücklichen

Titel: Glücklich die Glücklichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Reza
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lächelte freundlich und sagte, ich weiß, ich weiß. Wir setzten uns wieder an den Tisch. Robert schenkte die Gläser voll. Wir stießen noch einmal an. Auf die Freundschaft. Auf Jacobs Gesundheit. Wir stellten ein paar Fragen. Lionel sagte, Pascaline ist bewundernswert. Ich weiß, wie viele Sorgen sie sich macht, aber sie schafft es, zuversichtlich zu bleiben, positiv. Sagt ihr nicht, dass ihr Bescheid wisst. Wenn sie euch eines Tages davon erzählt, habt ihr nichts gewusst. Wir versprachen, nichts zu sagen. Und versuchten, von etwas anderem zu reden. Lionel sprach mich auf meine neuesten Reportagen an. Ich erzählte ihnen von der Eröffnung des jüdischen Mahnmals in Skopje. Die Zeremonie unter freiem Himmel und auf Plastikstühlen. Die Fanfare, die in der Ferne erklang, wie ein Spielzeuggeräusch. Die drei mazedonischen Soldaten, rasierte Skinheads mit langem Umhang, Arme horizontal nach vorn, darauf ein Kissen mit einer Getränkedose, in Wirklichkeit eine Urne von Treblinka-Opfern. Das Ganze vollkommen grotesk. Einen Moment später wieder Fanfaren, in Ruanda. Achtzehnter Jahrestag des Genozids im Stadion von Kigali. Da erschienen aus einer Tür, Marke Löwentor in Ben Hur , lauter Typen im Gänsemarsch, Stöcke werfend. Ich sagte, warum müssen alle Massaker immer mit einer Fanfare enden ? – Ja, das stimmt, meinte Lionel. Und wir fingen alle drei wieder an zu lachen, besoffen, wie wir waren.

Hélène Barnèche
    Neulich setzte sich im Bus ein vollschlanker Mann vor mich, ans Fenster auf der Bank gegenüber. Ich brauchte einen Moment, bis ich ihn wahrnahm. Eigentlich hob ich den Kopf nur, weil ich seinen Blick auf mir spürte. Der Mann musterte mich mit unglaublich ernster Miene, fast wie ein Wahrsager. Ich tat, was man in so einer Situation tut, man hält den Blick tapfer aus, um Gleichgültigkeit zu demonstrieren, und wendet sich wieder anderen Betrachtungen zu. Aber ich fühlte mich unwohl. Ich spürte sein beharrliches Interesse und überlegte sogar, ob ich ihm nicht einen Spruch hinknallen sollte. Ich dachte gerade darüber nach, als ich hörte, Hélène ? Hélène Barnèche ? Ich sagte, kennen wir uns ? Er sagte, so, als wäre er der einzige auf der Welt, was übrigens der Fall war, Igor. Es war weniger der Name als seine Art, ihn auszusprechen, die ich auf der Stelle wiedererkannte. Eine Art, sich auf dem o auszuruhen, eine prätentiöse Ironie in diese beiden Silben hineinzuschmuggeln. Ich wiederholte dumm den Namen und musterte sein Gesicht nun meinerseits. Ich bin eine Frau, die keine Fotos mag (ich mache nie welche), die keine Bilder mag, seien sie fröhlich oder traurig, mit denen womöglich Gefühle erzeugt werden könnten. Gefühle sind etwas Erschreckendes. Am liebsten hätte ich, dass das Leben einfach weitergeht und alles nach und nach ausgelöscht wird. Es gelang mir nicht, diesen neuen Igor mit dem der Vergangenheit zu verknüpfen. Weder seine körperliche Beschaffenheit noch irgendeine Eigenschaft, die seinen Zauber ausmachte. Aber ich erinnerte mich an den Zeitabschnitt, der seinen Namen getragen hatte. Als ich Igor Lorrain kennenlernte, war ich sechsundzwanzig, er kaum älter. Ich war schon mit Raoul verheiratet und arbeitete als Sekretärin bei der Sparkasse. Er studierte Medizin. Damals verbrachte Raoul seine Nächte im Café beim Kartenspiel. Yorgos, ein Kumpel, hatte Igor ins Darcey mitgebracht, an der Place Clichy. Ich war fast jeden Abend dort, ging aber früh nach Hause und ins Bett. Igor bot mir an, mich nach Hause zu fahren. Er hatte eine blaue Ente, die man mit einer Kurbel anwarf, bei offener Motorhaube, weil der Kühlergrill verbeult war. Er war groß und schlank. Er schwankte zwischen Bridge und Psychiatrie. Vor allem war er irre. Es war schwer, ihm zu widerstehen. Eines Abends beugte er sich an einer roten Ampel zu mir und sagte, meine arme Hélène, sie haben dich ganz schön im Stich gelassen. Und küsste mich. Er irrte sich, ich fühlte mich gar nicht im Stich gelassen, aber während ich noch darüber nachsann, lag ich schon in seinen Armen. Wir hatten nichts gegessen, er nahm mich mit in ein kleines Bistro an der Porte de Saint-Cloud. Mir wurde sofort klar, mit was für einem ich es zu tun hatte. Er bestellte zweimal Hühnchen mit grünen Bohnen. Als das Essen serviert wurde, probierte er und sagte, na, da muss Salz dran. Ich sagte, nein, für mich ist es gut. Er sagte, aber nein, das ist nicht genug gesalzen, tu noch Salz dran. Ich sagte, Igor, das reicht für

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