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Glücklich die Glücklichen

Glücklich die Glücklichen

Titel: Glücklich die Glücklichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Reza
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gleichzeitig, Jeannette ! Wir kommen mehr schlecht als recht zum Stehen, es gibt ein komisches Geräusch. Ich bin schweißgebadet. Ich sage, hoffentlich bist du mit deinen Schülern geduldiger. – Meine Schüler sind mehr auf Draht. – Du hast mir doch vorgeschlagen, ich soll wieder fahren. – Du versauerst in deiner Wohnung, du musst unabhängig werden. Lass das Auto wieder an. Schalte auf P. Was macht dein rechter Fuß ? – Ich weiß nicht. – Stell ihn aufs Gaspedal, ohne Druck. Genau. Schalte auf D. Und los geht’s. Gib behutsam Gas. Die Anweisungen meiner Schwägerin verschwinden in einem abgelegenen Teil meines Gehirns. Ich reagiere mechanisch darauf. Die kleine Sorgenkapsel ist in meine Kehle zurückgekehrt. Ich versuche, sie loszuwerden. Wir fahren. – Wo willst du hin ?, fragt Marguerite. – Ich weiß nicht. – Du fährst direkt auf die Schranke zu. – Ja. – Du kannst vorher abbiegen, über das Gras. Du fährst um den Baum herum und kommst dann in Gegenrichtung zurück. Sie zeigt mir eine Stelle, die ich nicht sehe, weil ich nicht imstande bin, woandershin als nach vorne zu schauen. – Langsamer, sagt Marguerite, langsamer. Sie stresst mich. Ich weiß nicht mehr, wie man verlangsamt. Meine Arme sind an das Steuer geschweißt wie zwei Eisenstangen. – Abbiegen, Jeannette, abbiegen !, schreit Marguerite. Ich weiß nicht mehr, wo ich bin. Marguerite umklammert das Steuer. Die Schranke ist zwei Meter entfernt. – Lass das Steuer los, Jeannette ! Heb den Fuß hoch ! Sie reißt an der Handbremse und betätigt den Schaltknüppel. Der Wagen bockt, prallt gegen die weiße Schranke und schrammt daran entlang. Dann steht er still. Marguerite sagt kein Wort. Mit einem Schlag stehen mir die Tränen in den Augen, ich kann nichts sehen. Marguerite steigt aus. Sie geht um das Auto herum nach hinten und begutachtet die Schäden. Sie öffnet meine Tür und sagt mit sanfter Stimme (das ist das Allerschlimmste), steig aus, ich setze zurück. Sie hilft mir, den Gurt zu lösen. Sie setzt sich ans Steuer und fährt ein kleines Stück zurück, um den 207 von der Schranke wegzubekommen. Dann steigt sie wieder aus. Vorne links ist er ein bisschen eingedrückt, ein Scheinwerfer ist kaputt und der ganze linke Kotflügel verschrammt. Ich murmele, es tut mir so leid, entschuldige. Marguerite sagt, na, den hast du mir ja zugerichtet, meine Güte. – Es tut mir furchtbar leid, Marguerite, ich bezahle für die Reparaturen. Sie schaut mich an, Jeannette, du wirst doch deswegen nicht weinen ? Aber Jeannette, das ist idiotisch, ein verbeultes Auto, das ist doch schnurz. Wenn du wüsstest, wie viele Blechschäden ich schon in meinem Leben hatte; einmal hätte ich vorm Gymnasium beinahe einen Fünftklässler überfahren. Ich sage, bitte entschuldige, entschuldige, jetzt habe ich den ganzen Tag verdorben. – Komm, steig wieder ein, sagt Marguerite, wir fahren nach Bagatelle und essen ein Eis. Seit Monaten habe ich Lust, mal wieder nach Bagatelle zu fahren. Wir setzen uns wieder ins Auto wie zuvor. Sie startet ohne Schwierigkeiten. Sie setzt mit einer Geschicklichkeit, die mich fertigmacht, auf die Wiese zurück. Ich verstehe die Leute, die schlechtes Wetter mögen. Da kommt man nicht auf solche Ideen, wie zum Beispiel, einen Blumengarten zu besuchen. – Krieg dich wieder ein, Jeannette, sagt Marguerite. Diese Schranke hat sich uns aber auch regelrecht in den Weg gestellt, muss ich sagen. Und ganz ehrlich – ich wusste von Anfang an, dass du dagegenfahren würdest. Ich lächle gegen meinen Willen und sage, das erzählst du aber nicht Ernest, ja? – Ha, ha, jetzt hab ich dich in der Hand !, lacht Marguerite. Sie ist großartig. Ich hätte lieber sie heiraten sollen als ihren Bruder. In meiner Handtasche klingelt mein Handy. Odile hat mir einen schrillen Klingelton installiert, weil sie glaubt, ich wäre taub. Außer Odile und Ernest und meinem Schwiegersohn Robert ruft mich keiner auf diesem Apparat an. – Hallo ? – Maman ? – Ja ? – Wo bist du ? – Im Bois de Boulogne. – Aha. Mach dir keine Sorgen, aber Papa hat mit seinen Freunden vom Dritten Zirkel gegessen, und dabei ist ihm unwohl geworden. Das Restaurant hat eine Ambulanz gerufen, und sie haben ihn in die Pitié gebracht. – Unwohl ? ... – Bist du immer noch mit Marguerite unterwegs ? – Ja ... – Habt ihr etwas Hübsches gefunden ? Ich sage, wie, unwohl ? Wo bist du, Odile ? Odiles Stimme klingt dumpf, wie aus einer Höhle.

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