Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gluecklich, wer vergisst

Gluecklich, wer vergisst

Titel: Gluecklich, wer vergisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
Vom Netzwerk:
Hotelfachschule in Bad Ischl geschmissen. Mit Ach und Krach hat sie die Matura in einer Abendschule in Linz nachgeholt. Danach ist sie für ein Jahr in die Schweiz gegangen, hat als Hilfskellnerin gearbeitet, zuerst in Zermatt und später am Züricher See, behauptet sie. Ich habe eher den Verdacht, dass sie sich als Bardame in diversen zwielichtigen Etablissements durchgeschlagen hat. Irgendwann hat sie in Linz ein Studium begonnen. Frag mich nicht, was sie studiert hat. Sie hat nichts abgeschlossen, ist uns bis Mitte dreißig meist auf der Tasche gelegen. Zwischendurch ist sie immer wieder mal für ein paar Monate ins Ausland. Wir haben oft wochenlang nichts von ihr gehört.“
    „Und Mario?“
    „Den habe ich aufgezogen. Bis zu seinem vierten Lebensjahr hat er mich für seine Mama gehalten.“
    „Sie hat nie geheiratet?“
    „Nein. Wer will schon eine Frau, die durch so viele Betten gegangen ist? In jungen Jahren hätte sie durchaus Chancen gehabt. Sie war ja nicht gerade unattraktiv. Der Willi, du erinnerst dich bestimmt an ihn, hat sie richtiggehend angebetet. Ich glaube, er würde sie auch heute noch nehmen. Obwohl sie für ihre fünfundvierzig Jahre ziemlich verlebt aussieht. Ungeschminkt könnte man sie glatt für über fünfzig halten. Du wirst staunen, wenn du sie siehst.“
    Wie nett. Was kann sich eine Frau Besseres wünschen, als dass ihre eigene Mutter in diesem Ton über sie spricht, dachte ich.
    „Als die Pacht für die Bar unten am See ausgeschrieben wurde, habe ich endlich ein Machtwort gesprochen. Ich habe Franzi vor die Wahl gestellt: Entweder sie übernimmt die Bar oder ich streiche ihr meine finanzielle Unterstützung.“
    „Das nennt man Erpressung“, murmelte ich.
    „Mir blieb nichts anderes übrig. Uns stand das Wasser bis zum Hals. Außerdem hat mich Philip schwer unter Druck gesetzt. Zwei Sommer lang ist alles so halbwegs gut gegangen. Ich habe fast zu hoffen gewagt, dass meine Tochter endlich erwachsen geworden ist. Dann sind plötzlich jede Menge nichtsnutzige Freunde erschienen, die sich von ihr kostenlos mit Alkohol versorgen ließen. Wahrscheinlich nicht nur mit Alkohol. Ihre Liebhaber wurden immer jünger und die Gäste immer weniger. Als die Polizei eines Tages bei einer Razzia zwei Drogendealer verhaftet hat und das Lokal vorübergehend geschlossen wurde, habe ich wieder eingreifen müssen. Ich habe ihr die Geschäftsleitung weggenommen und sie Mario übergeben. Zum Glück ist er ein vernünftiger Junge. Es ist ihm gelungen, das Lokal in einem Sommer wieder auf den Damm zu bringen. Es ist ja wirklich ein idealer Platz. Allerdings muss er bald was investieren, sonst bekommt er Probleme mit der Gewerbebehörde. Die Lebensmittelpolizei sitzt ihm eh schon im Nacken. Und genau darum ist es bei dem großen Krach zwischen Franzi und Philip an jenem verhängnisvollen Abend gegangen. Philip war nicht gewillt, einen Cent in diese Bruchbude, wie er die Bar nannte, hineinzustecken. Geduld war nie eine von Franzis Stärken. Anstatt sich mit mir hinter seinem Rücken eine Strategie auszudenken, ist sie sofort mit der Tür ins Haus gefallen, hat ihn beschuldigt, mich und die Familie betrügen zu wollen … Ich habe nicht alles verstanden, ich war in der Küche, habe das Abendessen vorbereitet. Wir haben einen Gast erwartet. Heinrich, ich meine Doktor Braunsperger, hatte sich etwas verspätet. Als er schließlich angeläutet hat, haben wir ihre Schreie gehört. Ich wollte sofort einschreiten. Doktor Braunsperger hat mich zurückgehalten …“, seufzte sie. „Er hätte mich gehen lassen sollen. Vielleicht hätte ich das Schlimmste verhindern können. Ich kann Heinrich diesen Vorwurf nicht ersparen.“
    Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen.
    Mitleidig starrte ich auf die vielen Altersflecken. Da mir keine tröstenden Worte einfallen wollten, verabschiedete ich mich rasch von ihr.
    Hatte Franzi tatsächlich ihren Stiefvater umgebracht, um ihrem Sohn seine Zukunft als Barbesitzer zu sichern?
    Diese Geschichte hatte mich mehr aufgewühlt, als mir lieb war. Walpurgas harte Worte über ihre Tochter machten mir zu schaffen. Wie würde meine Mutter über mich sprechen? Wäre sie genauso kritisch? Oder wäre sie sogar stolz auf mich?
    Ich stellte mir diese Frage nicht zum ersten Mal. Wie immer blieb sie unbeantwortet.
    Ich versuchte, im Bett ein paar Zeilen zu lesen, aber nicht einmal Minette Walters schaffte es, mich auf andere Gedanken zu bringen. Eine Zigarette würde mich vielleicht beruhigen.

Weitere Kostenlose Bücher