Gluecklich, wer vergisst
ihnen.
Mit artig gefalteten Händen sitzt Joe neben Franzi. Steht auf, wenn die anderen aufstehen. Kniet nieder, wenn die anderen niederknien. Lauscht dem Singsang des alten Priesters, amüsiert sich jedes Mal köstlich, wenn einer aus dem Chor den richtigen Ton nicht erwischt und liest nebenbei in dem kleinen Kirchenprospekt.
Franzi stößt ihr den Ellbogen in die Seite und flüstert ihr ins Ohr: „Schau dir Philip an. Gleich wird er zu schnarchen beginnen.“
Joe, vertieft in die schaurige Geschichte über den Heiligen Jakobus den Älteren, hört ihr nicht zu.
„Hast du gewusst, dass er enthauptet worden ist?“, fragt sie leise.
„Spinnst du? Von wem redest du?“
„Vom Heiligen Jakob. Auf dem Schafott hat er von seinem Henker eine Flasche Wasser verlangt, um Josias, der mit ihm enthauptet wurde, noch schnell taufen zu können. Echt cool, der Typ. Ich steh auf Märtyrer.“
„Hört endlich auf zu tuscheln“, zischt Walpurga die Mädchen an.
Nach dem Gottesdienst albern Joe und Franzi mit der Dorfjugend am Kirchplatz herum. Selbst in der vertrauten Gruppe fühlt Joe sich bald unwohl. „Ich habe das Gefühl, dass uns alle anstarren“, flüstert sie Franzi ins Ohr.
Als Gustav und Willi mit ihren Mopeds daherkommen, wirkt sie erleichtert. Sie schenkt beiden ein bezauberndes Lächeln.
Willi schlägt vor, eine kleine Spritztour zu machen. Franzi besteht darauf, selber zu fahren. Doch sogar als sie sich aufs Bitten verlegt, bleibt Willi hart. „Es sind zu viele Leute hier. Du bist nicht einmal fünfzehn. Das weiß jeder.“
Solche Überlegungen interessieren Franzi nicht, und das teilt sie ihm auch lautstark mit: „Alter Spießer …, Muttersöhnchen …“, hallt es über den Platz. Bevor sie sich wütend auf den Rücksitz seines alten KTM-Mopeds schwingt, zischt sie ihm „Feigling“ ins Ohr.
Als das kurze, knallenge Röckchen hinaufrutscht und ihre gebräunten Schenkel fast bis zur Scham freilegt, verfolgen die anderen Burschen ihren Aufbruch mit neidischen Blicken.
Sogleich findet Joe, dass das bodenlange, luftige, weite Kleid an ihr blöd herunterhängt. Frustriert drückt sie ihr Strohhütchen ins Gesicht und setzt sich hinter Gustav auf sein schickes, auffrisiertes Puch-Moped.
Während der rasanten Fahrt trällert sie unentwegt einen uralten Schlager, den Victor heute Morgen im Bad gesungen hat: „Am Sonntag will mein Süßer mit mir Segeln geh’n …“
„Die Eisbecher beim Ottet sind exzeptionell und die Cremeschnitten exorbitant“, verspricht Gustav.
„Was hast du gesagt?“, schreit Joe.
In der Schörflinger Konditorei ergattern sie einen winzigen Tisch neben der Tür. Joe ist nun bester Laune. Sie leistet sich sogar einen zweiten Bananensplit. Schafft nicht mehr als ein paar Bissen und überlässt den Rest ihren Freunden.
„Wenn Mama wüsste, dass wir uns vorm Mittagessen den Bauch mit Eis vollschlagen“, sagt Franzi vergnügt.
5. Kapitel
„Walpurga ist zur Kirche gegangen. Sie ist auf ihre alten Tage richtig fromm geworden. Du kannst sie also jetzt nicht sprechen. Was willst du denn von ihr?“, fuhr ich meinen Vater an. „Sie hat bereits tröstenden Beistand. – Nein, nein, nicht vom Pfarrer, von einem Arzt.“
„Dieser alte Spießer Braunsperger lebt noch?“
„Er dürfte unwesentlich älter sein als du, Papa.“
„Wie sieht er aus? Fett und glatzköpfig?“
„Im Gegenteil. Für sein Alter hat er sich recht gut gehalten“, behauptete ich, obwohl ich den Doktor bisher nicht zu Gesicht bekommen hatte. „Und wie es mir geht, interessiert dich wohl gar nicht? Ich werde mich demnächst wegen Rheumatismus behandeln lassen müssen. In dieser Raubritterburg ist es dermaßen feucht, selbst das Bettzeug ist klamm. Alles riecht nach Staub und Moder. Die Nächte sind saukalt. Und diese ewige Nebelsuppe …“
Victor schien nicht gewillt, sich mein Gejammer noch länger anzuhören. „Margarita ruft mich bereits zum dritten Mal. Mein Kaffee wird kalt, Schätzchen. Wir telefonieren später.“ Er legte einfach auf.
Ich brauchte nur an Margaritas Frühstücksorgien zu denken, schon lief mir das Wasser im Mund zusammen. Berge von Schinken und Käse, Liptauer, köstliche, selbst gemachte Marmeladen, Eier, Butterkipferl, frisch gebackenes Brot, wunderbare Handsemmeln … Mein Frühstück hatte heute aus einer Tasse Nescafé bestanden. Ich hatte mich in aller Herrgottsfrüh in die Küche geschlichen und Wasser heiß gemacht. An einem Sonntagmorgen hatte ich keine Lust auf
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