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Gluecklich, wer vergisst

Gluecklich, wer vergisst

Titel: Gluecklich, wer vergisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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Aber ich hatte keine Lust, mich wieder anzuziehen.
    Ein Blick auf meine Armbanduhr. Kurz nach zweiundzwanzig Uhr. Vielleicht sollte ich Jan zurückrufen? Er hatte in den letzten beiden Tagen mehrmals versucht, mich zu erreichen. Zwei mysteriöse Todesfälle und ich vor Ort. Er würde mir nie verzeihen, wenn ich ihn nicht auf dem Laufenden hielt.
    Ich griff nach meinem Handy. Er meldete sich bereits nach dem ersten Klingelton.
    Nach dem üblichen Austausch von Höflichkeitsfloskeln platzte ich gleich mit der Wahrheit heraus und erzählte ihm die Kurzfassung der Ereignisse. Auch die dauerte lang genug. Er unterbrach mich kein einziges Mal. Jan ist und bleibt eben ein guter Zuhörer.
    Als ich kurz verschnaufte, sagte er: „Ich rufe dich zurück. Kann jetzt nicht reden.“
    Er klang reserviert. Bestimmt passte es ihm nicht, dass ich mich von meinem Vater hatte breitschlagen lassen, mich einzumischen.
    Erst jetzt vernahm ich die leise Klaviermusik und die gedämpften Stimmen im Hintergrund. Mein Liebster genoss anscheinend das Nachtleben in Stockholm.
    „Okay, bis morgen.“
    „Ich komme, sobald ich kann, vielleicht schon am Mittwoch.“
    Wir warteten beide darauf, dass der andere noch etwas Nettes, Liebevolles sagen würde. Wir warteten beide vergeblich.
    Ich sehnte mich danach, dass mich jemand in die Arme nehmen würde, mir sagen, dass alles nur ein schlimmer Traum wäre. Ich sehnte mich nach meiner Mutter. Würde ich sie denn bis ans Ende meines Lebens vermissen?
    Es war so still, dass ich das Ticken meiner Armbanduhr hören konnte. Ich machte noch einmal Licht und wählte die Nummer meines Vaters. Victor hob nicht ab. Vielleicht war er mit Margarita ausgegangen? Als er sich auch am Handy nicht meldete, schaltete ich meines ab. Auch ich wollte am Samstagabend für niemanden mehr erreichbar sein.
    „Du bist das Ebenbild deiner Mutter“, hatte Walpurga bei unserem Wiedersehen gesagt. Und Albert hatte mich gar mit Gisela verwechselt.
    Meine Mutter starb, als ich alt genug war, um sie für immer im Gedächtnis zu behalten. Wenn ich mich sehr einsam fühlte und in sentimentaler Stimmung war, holte ich mein Lieblingsbild von ihr, das ich in meinem Portemonnaie immer bei mir trug, heraus. So auch jetzt.
    Das Bild war in jenem letzten Sommer am Attersee aufgenommen worden. Zweieinhalb Jahre vor ihrem Tod. Sie war damals etwa so alt gewesen wie ich heute. Ihre Krankheit war ihr nicht anzumerken. Sie wusste bestimmt noch nicht, dass sich in ihrer Brust ein Knoten breitmachte, der sie umbringen würde. Oder ahnte sie es bereits? Plötzlich bildete ich mir ein, dass in ihrem Blick eine leise Traurigkeit lag.
    Bisher hatte ich gefunden, dass sie auf diesem Foto nicht nur unglaublich schön, sondern auch sehr glücklich aussah. Alle Kinder wünschen sich eine glückliche, strahlende Mutter, dachte ich. In meiner Erinnerung hatte sie aber tatsächlich selten so entspannt und fröhlich ausgesehen wie auf diesem Bild. Gisela war ein ernsthafter, grüblerischer Mensch gewesen. Mein Vater hatte sich manchmal über die Falten auf ihrer Stirn lustig gemacht. Sie hatte oft die Brauen hochgezogen und ihre Stirn hatte dann ganz runzelig ausgesehen. Doch auf diesem Bild war ihre Stirn glatt. Ein verschmitztes Lächeln umspielte ihre Lippen und ihre Augen blickten mich freundlich und leicht überrascht an. Ich hatte sie beim Lesen geknipst, sie hatte von ihrem Buch aufgeblickt, als ich abdrückte. Sie saß am Steg. Ihre langen, schlanken Beine und ihre Arme waren tief gebräunt. Im Hintergrund das smaragdfarbene Wasser des Attersees. Sie trug ein türkises T-Shirt über ihrem Badeanzug, das ihre Augen noch blauer leuchten ließ. Ihr langes, blondes Haar hatte sie hinter die Ohren geschoben, aber ein paar hellblonde Strähnen fielen ihr über das Gesicht.
    Sie hatte sich nie gern fotografieren lassen. Ich teilte diese Abneigung mit ihr, ich stand lieber hinter als vor der Kamera. Doch dieser Schnappschuss in unserem letzten Sommer am Attersee war wirklich gelungen und hatte auch vor ihren Augen Gnade gefunden. Vielleicht war er mir deshalb so lieb.
    Ich wischte mir eine Träne aus den Augen, bevor ich endgültig das Licht ausknipste. Das Foto legte ich aufs Nachtkästchen. Ich hoffte, von ihr zu träumen. Bisher hatte ich nur schöne Träume von meiner Mutter gehabt. Keinen einzigen Albtraum.
    Sommer 1979
    Am Sonntagmorgen läutet der Wecker in Franzis Zimmer um sieben Uhr dreißig. Franzi springt aus dem Bett. Rüttelt Joe, die die Nacht

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