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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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und geduldig mit seinen Bauklötzen zu spielen, während sein Vater die blöden Knicks beschimpfte und bejubelte. Gregory schaute dann neugierig zum Fernseher empor und kommentierte, je nachdem, ob Enrique schrie oder klatschte: »Nich gut«, oder: »Guuut!«
    Das war lustig und süß, aber die viel tiefere Freude empfand Enrique – das hatte er noch niemandem erzählt, nicht einmal Margaret –, wenn er von einem weiteren stupiden Arbeitstag, an dem er seinen Text herunter-, herunterundnochmals heruntergeschrieben hatte, um ihn auf das unterirdisch schlichte Niveau des Filmbusiness zu bringen, nach Hause kam und, von oben bis unten mit Klischees besudelt, sein sexloses Heim betrat und dort, als Lohn für seine Mühe, einen müden Gregory überreicht bekam, der den verschwitzten Kopf an Enriques Brust legte und vor Erleichterung seufzte. Oder wenn er die Wohnung betrat und aus dem Kinderzimmer die helle Stimme seines Sohns begeistert »Daddy!« rufen hörte, gefolgt vom Stampfen seiner Sumoringerschritte, wenn er angerannt kam, um auf den Arm genommen zu werden. In Enriques Augen war das kein männliches Gefühl. Es war ihm peinlich – so mütterlich würde James Bond nie reagieren. Aber er verstand, dass ihn Gregory auf eine Art liebte, wie ihn sonst niemand liebte oder auch nur lieben könnte – und wie ihn auch niemand je lieben würde.
    Er sagte zu Sally: »Ich weiß nicht, ob ich meinen Sohn verlassen kann.« Aber dieses noble Bedenken war nicht das, was er fühlte. Tatsächlich gab es eine viel physischere Verbindung zu seinem tapsigen, aufgeregten, unglaublich süßen, in Windeln verpackten, hochintelligenten Erben. All die Stunden, in denen er sich allein um Gregory gekümmert hatte, die stupide Plackerei, die in seinen Augen den krassen Betrug an seiner Frau rechtfertigte, hatten in ihm den Glauben an etwas begründet, das er nicht benennen oder erklären konnte und dem er nicht traute. War er im Begriff, die lebende Version jenes jüdischen Witzes von den beiden Neunzigjährigen zu werden, die sich nach siebzig Jahren ehelichen Zusammenlebens in gegenseitigem Hass plötzlich scheiden lassen wollen? Gefragt, warum sie jetzt erst darauf kämen, antworten sie, sie hätten warten wollen, bis die Kinder tot wären. Könnte er wirklich ein Leben ohne Liebe und sexuelle Lust auf sich nehmen, nur um seinem Sohn das Trauma der elterlichen Trennung zu ersparen? Könnteer wirklich für immer mit einer Frau zusammen sein, die er jetzt ohne Zögern verlassen würde, wäre da nicht das Wunder von Kind, das sie hervorgebracht hatte?
    Er konnte ja mit Sally in LA eine neue Familie gründen, und wie Millionen geschiedener Eltern würden er und Margaret das gemeinsame Sorgerecht für Gregory haben, und es wäre das Beste für alle Beteiligten, inklusive Margaret, die ihn ja offensichtlich nicht liebte und die er ja eindeutig nicht glücklich machte.
    Aber. Aber. Aber, fragte er sich ängstlich, würde es in LA nicht genau auf das Gleiche hinauslaufen, abgesehen davon, dass er ständig eine Sonnenbrille tragen würde, sein Beemer eine getönte Windschutzscheibe hätte, er hinter heruntergelassenen Jalousien in einem Bungalow-Büro sitzen würde und einen Parkplatz auf dem Warner-Gelände hätte? Würde Sally dick werden wie ein Ballon und ein Kind aus sich herauspressen und das Auf und Ab seiner Karriere leid sein und sich nur noch für die Materialermüdung von Kinderwagen interessieren und dafür, welcher Kindergarten in Beverly Hills der direkteste Weg nach Harvard war? Entkam man dem Gefängnis der Ehe nur, indem man Single blieb? War je ein bedeutender Künstler glücklich verheiratet gewesen? Oder auch nur ein zweitklassiger Künstler? Sah nicht die eigentliche, simple Wahrheit so aus, dass er an jeder der beiden Küsten ein Leben zu führen versuchte, das er nicht wollte? Wo war der kompromisslose Highschoolabbrecher, den nichts interessierte außer seiner Kunst? War das Schriftsteller-Wunderkind der Gefangene, der jetzt an Enriques Käfig rüttelte?
    Sally zwang ihn, sich diesen Fragen zu stellen. Sie war wie immer witzig und geradeheraus und ehrlich und mitfühlend und gierig und irgendwie – wie ihr Körper – weich und hart, gebend und fordernd zugleich. »Es ist ja auch toll für dich. Ich würde auch nichts davon aufgeben wollen. Duhast zwei tolle Frauen, die dich lieben, deine Geliebte hier in LA, wenn dich Warner Brothers erster Klasse einfliegt, um dir zu sagen, dass du ein Genie bist, und in New York

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