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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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konnte. Wie konnte sie von ihm erwarten, so zu tun, als wäre er gläubig, wenn er es nicht war? Wie konnte sie von ihm erwarten, dass er eine Beschäftigung aufgab, die ihm Spaß machte, nur weil sie nichts damit anfangen konnte? Aber vor allem: Wie konnte sie von ihm erwarten, dass er fröhlich war, während sein Lebenstraum, Romancier zu sein, in die Brüche ging?
    Weil das doch nur unwichtige Kompromisse für ihn seien, behauptete sie. Sie verlange nur, dass er sich wie ein verantwortlicher Erwachsener benehme, und außerdem wisse sie, dass er glücklicher wäre, wenn er täte, was sie wolle. Sie war egozentrisch auf die einzig effektive Art, egozentrisch zu sein: indem man ernsthaft davon überzeugt war, dass die eigene Art zu leben die bessere sei. Jedes Mal, wenn er versuchte, ihre Regeln zu modifizieren, wurde aus ihr ein wirbelnder Derwisch, gleichermaßen fragil und wild, der keine Diskussion und schon gar keinen Kompromiss zuließ. Und ganz gleich, ob er tobte, schmollte, sie tröstete oder sich unterm Bett verkroch wie ein verängstigter Hund – seine Mauern wurden geschliffen und ihre blieben unbeschädigt. Er hatte Angst, dass sie jetzt wieder so reagieren würde, nur dass er diesmal seine Wut nicht im Zaum halten könnte, weiler genau wusste, dass sie unrecht hatte: Er war nicht glücklicher, wenn er so lebte, wie sie es wollte.
    Und das war es, was er, neben ihr auf dem Bett sitzend, mit halberstickter Stimme sagte. Es war nur eine Auslassungslüge. Er sagte nichts von Sally und ihrer Affäre, aber er sagte die Wahrheit: »Ich bin nicht glücklich. Ich« – die Worte waren so befrachtet, dass er innehalten und Luft holen musste, um sie auszusprechen –, »ich kann so nicht mehr leben.«
    »Du kannst wie nicht mehr leben? Wovon redest du? Sex? Geht es um Sex?«, sagte sie, als wäre schon das bloße Wort verachtenswert. »Ich bin müde, Herrgott. Wir haben ein kleines Kind, ich habe einen Job. Ich kann das nicht einfach an- und ausknipsen, so wie du. Ich bin kein Lichtschalter –« Er hörte die Gereiztheit, gleich würde sie rufen: »Ich kann das nicht!«, und seine Bedürfnisse und Wünsche wären zertrümmert.
    »Das ist Quatsch«, sagte er, weil er keine Angst mehr vor dem finsteren Himmel und dem Tornado ihrer Emotionen hatte.
    »Was?«, sagte sie alarmiert.
    Er wiederholte ruhig: »Das ist Quatsch. Wir haben keinen Sex, weil mit unserer Ehe etwas Grundlegendes nicht stimmt. Und entweder wir setzen uns damit auseinander, oder …« Er seufzte wieder, vor Traurigkeit und Angst so schwindelig, dass er sich schon fragte, ob er in Ohnmacht fallen würde. »Oder es ist vorbei«, sagte er bedauernd, aber entschieden.
    »Es ist« – sie zögerte – »vorbei?« Sie wiederholte seine Worte eher ungläubig als bestürzt.
    Er sah in ihre großen Augen. Sie wirkten oft erschrocken. Doch jetzt, wo er ein Mal etwas wirklich Erschreckendes gesagt hatte, hatten sie nichts Erschrockenes. Sie verdunkelten sich vielmehr von Zorn. Er ließ sich nicht beirren.Langsam und fest sagte er: »Es ist vorbei. Ich kann so nicht mehr. Ich kann es nicht.« So viel hatte er sich fest vorgenommen: ihr wenigstens ehrlich zu sagen, was auf dem Spiel stand.
    Er hatte ihr Angst gemacht. Sie war so tief erschrocken, dass sie nüchtern statt hysterisch reagierte. Sie griff nach ihren Camel Light – sie hatte während der Schwangerschaft eine Zeitlang nicht geraucht, aber schon nach ein paar Monaten wieder angefangen –, zündete sich eine an und zog ihre Beine aus Enriques unmittelbarer Nähe weg. Sie funkelte ihn an, die Lippen zusammengepresst, das Kinn vorgeschoben, ein Bild kalter Wut. »Was willst du? Was verdammt noch mal erwartest du von mir?«
    Sally – Enriques Geliebte, Margarets Freundin, seine große Leidenschaft, ihre Rivalin – hatte die Lösung vorgeschlagen, diesen feigen Kompromiss, den durchzusetzen Enrique ja wohl den Mumm haben würde: Eheberatung. Er war sofort darauf eingegangen, weil so zumindest die schmerzliche Entscheidung, die Sally ihm aufzwang, ein paar Wochen hinausgeschoben würde. Enrique machte sich keine Illusionen, warum Sally diesen Zwischenschritt vorschlug. Er kannte die Statistik: Die meisten Paare, die zur Eheberatung gingen, wurden am Ende geschieden. Ein Übergangsheim für emotional Zurückgebliebene: Leute wie Enrique, die zu zaghaft waren, um ohne Schiedsrichter die Wahrheit zu sagen. Natürlich kalkulierte Sally, dass er so seine Entscheidung zwar verzögern, sie dafür aber mit

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