Glückliche Ehe
und glücklich zu werden und nicht in Manhattan als gescheiterter Romancier vor sich hin schmollen zu müssen. Wenn er blieb, wo er war, würde er weiter putzen und kochen und darauf hoffen müssen, dass eins seiner Drehbücher verfilmt und ein Kinohit würde und dass seine asexuelle Frau irgendwann den versäumten Schlaf aufgeholt hatte.
Und außerdem würde er alle einengenden Einflüsse seiner Erziehung hinter sich lassen: den obsoleten Glauben seiner Eltern an den literarischen Roman, ihre moralische Verachtung des Hollywood-Imperativs, dem Publikum zu geben, was es wollte, und – daraus zu schließen, wie sie über ihre geschiedenen Freunde sprachen – auch ihre moralische Verachtung eines Sohnes, der Sex über alle anderen Aspekte einer Beziehung stellte und ihren Enkel einfach dem Schicksal auslieferte, von ihren Großeltern mütterlicherseits im materiellen Komfort, aber auch im ängstlichen Wertesystem der abenteuerfeindlichsten und zynischsten aller bourgeoisen Kulturen erzogen zu werden – der der Long-Island-Juden.
Die Verachtung seiner Eltern für die Welt der Cohens war viel älter als seine Beziehung mit Margaret. Guillermo und Rose hatten die Ideale der Mittelschicht, das gesellschaftliche Aufwärtsstreben, die konventionelle Frömmigkeit, die kulturelle Kanongläubigkeit, intellektuelle Zahmheit und politische Vorsicht, schon lange vor Enriques Geburt abgelehnt. In ihrer Jugend hatten sie sich unter Gefährdung ihres Lebens für eine proletarische Revolution eingesetzt, die ebendiese komfortable Welt abschaffen wollte. Als Ende der Vierzigerjahre die Greueltaten der Sowjets aufgedeckt wurden, schlossen sie daraus nicht, dass sie sich geirrt hatten,sondern nur, dass Stalin ein böser Mensch war. Nach dem Vietnamkrieg – in der Reagan-Ära, der Zeit, als alle schamlos dem Geld nachjagten und die USA als die Guten idealisiert und andere Erdbewohner als die Bösen und Schwachen verteufelt wurden – hatten sich zwar die radikalen Reden seiner Eltern gemäßigt, nicht aber ihre fundamentale Ablehnung egoistischen materiellen Gewinnstrebens und schon gar nicht ihre Verachtung für Künstler, denen es mehr um öffentliche Anerkennung ging als darum, ihre Welt so ehrlich wie möglich zu zeigen.
Nach Meinung des achtundzwanzigjährigen Enrique hießen es seine Eltern gut, dass er Geld verdiente, um ihr Enkelkind anständig großzuziehen. Wenn sie auch immer wieder sagten, es wäre ihnen lieber, er schriebe wieder ernsthafte Romane, erkannten sie doch, dass er unterschied: In den Drehbüchern, die er mit seinem Halbbruder schrieb, mochte er den Publikumsgeschmack bedienen; die Maßstäbe, die er an sein literarisches Schreiben anlegte, lockerte er deshalb nicht. Sie bedauerten zwar, dass er dümmliche Drehbücher verfasste, lobten ihn aber auch dafür, dass er sich geweigert hatte, den Schluss seines vierten Romans für einen Verleger umzuschreiben. Und sie schienen in Margaret eine gute Partnerin für ihn zu sehen, trotz ihrer konventionellen Vorstellungen, wie sie zu leben hatten: in einem Haus mit Portier, in der festen Absicht, ihre Kinder auf eine Privatschule zu schicken, und unter der Prämisse, dass Enrique erst dann Wege suchen würde, seine Romane zu schreiben, wenn er es geschafft hatte, genug Geld zu verdienen, um ihr Leben in Manhattan zu finanzieren.
Sie gaben ihm nicht das Gefühl, sich für seine Ehefrau schämen zu müssen. Im Gegenteil, sein Vater vergötterte Margaret mit ihren lachenden blauen Augen, ihrer spöttischen Art, Enrique zu necken, und ihrem bereitwilligen Ohr für Guillermos Anekdoten. Im Gegenzug schmeichelteGuillermo ihr, denn reflexhaft ermutigte er jeden, der auch nur einen Ansatz von Kreativität erkennen ließ: Er erklärte, ihre Fotos und Bilder zeugten von außergewöhnlichem Talent, sie müsse unbedingt mehr Zeit in ihre Kunst investieren, daran arbeiten, dann sei ihr weltweite Anerkennung sicher. Er ignorierte geflissentlich, dass Margaret nicht die Zeit hatte, eine zweite Mary Cassat zu werden; sie hatte kaum die halbe Stunde, um zum Friseur zu gehen, was für eine New Yorker Karrierefrau wesentlich wichtiger war als künstlerische Selbstverwirklichung.
Auch Rose mochte Margaret, soweit sie irgendeine Frau mögen konnte, die den größten Platz im Herzen ihres Sohns einnahm. Und seine Eltern sprachen stets freundlich, wenn auch mit unvermeidlicher Herablassung, von den Cohens. »Sie sind wirklich gescheite Leute, viel gescheiter, als sie sich zugestehen«,
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