Glückliche Ehe
sagte sein Vater, und Enrique war klar, dass er das ebenso gut über die Arbeiterklasse hätte sagen können, die es zur Revolte zu erziehen galt. »Und wie alle Juden«, setzte sein verbrämt antisemitischer Vater hinzu, »haben sie viel für Kultur übrig. Gehen in alle Ausstellungen, schauen sich alle bedeutenden Theaterstücke an, kaufen alle wichtigen Bücher. Ob sie sie lesen, weiß ich nicht, aber sie kaufen sie. Weiß der Himmel, welche Erkenntnis sie aus alldem gewinnen, aber sie fördern die Künste, und dafür segne sie Gott«, sagte er in jenem Ton gerührter Anerkennung, in dem man über einen treuen alten Diener sprechen mochte. »Sie sind Margaret gegenüber wirklich großzügig«, bemerkte seine Mutter mit einem matten Lächeln, als hätte sie lange überlegen müssen, um auf dieses Kompliment zu kommen. »Das muss man ihnen wirklich zugutehalten. Leute, die so viel Geld haben wie sie, sind ihren Kindern gegenüber oft knauserig.« Und sie konnte sich nicht verkneifen hinzuzusetzen: »Ihre Mutter ist eine von diesen Frauen, die ewig jung sein möchten, du verstehst schon. Die so tun, als wären sieimmer noch Mädchen. Ich persönlich halte nicht viel von …« Ein weiteres mattes Lächeln, während sie ihre Charakterisierung unvollendet ließ. »Ich finde es wichtig, das eigene Alter zu akzeptieren«, sagte sie stattdessen und lächelte jetzt so wehmütig und milde, als wäre das eine Perle der Weisheit und nicht Ausdruck ihres Neids auf Dorothy, deren Konfektionsgröße über die Jahre dieselbe geblieben war.
Enrique durchschaute nicht, dass die Herablassung seiner Eltern aus eigenen Unsicherheiten erwuchs. Er übernahm ihre Ansichten über die Cohens mit der Blindgläubigkeit eines kommunistischen Parteimitglieds. Doch ganz gleich, was er dachte – er fühlte genau, dass sich die beiden Elternpaare einen Kampf um die Deutungshoheit über seine Ehe lieferten. Damit er seinen Auftrag als Sohn erfüllte, mussten Margaret und er, auch wenn es verzeihlich war, dass sie zurzeit bei Newsweek arbeitete und er Drehbücher schrieb, schließlich doch ein brillanter Romancier und eine großartige Malerin werden, ein Künstlerpaar wie Guillermo und Rose. Und damit Margaret ihren Auftrag als Tochter erfüllte, das wusste Enrique, musste er irgendwann so viel Geld verdienen, dass Dorothy und Leonard ihre Freunde im Golfclub beeindrucken konnten – nicht achtzigtausend im Jahr, für die ihn andere freie Schriftsteller bestaunten, sondern die Millionen, die die Leute in der Beth-El-Synagoge veranlassen würden, die Köpfe zu drehen. Zumindest aber musste er so viel verdienen, dass Margaret, wenn sie wollte, aufhören konnte zu arbeiten, obwohl er den Verdacht hatte, dass die konventionelle Dorothy gegenüber allen Müttern in Great Neck, ob feministisch oder nicht, einen Punktsieg erzielen würde, wenn ihre Tochter es schaffte, ein zweites Kind zu bekommen und Art Director bei Newsweek zu werden.
Nur Sally – die verrückte, lachende Sally Winthrop mit den vollen Lippen, deren Vorfahren mit der Mayflower gelandet waren und in deren Familie noch nie jemand davon geträumt hatte, die amerikanische Gesellschaft zu verändern –, nur sie malte ein Bild von der Zukunft, das Enriques verdorrte Sehnsüchte wiedererweckte. Sie bot ihm Sex, Geld, schnelle Autos und ein Leben, in dem es keine Windeln gab und keine kommunistischen oder bürgerlichen Erwartungen. Allerdings fehlte in dieser Zukunft noch etwas: sein Sohn Gregory. Ein kleines Kerlchen nur, mit seinen zwanzig Monaten. Ein warmes Bündel weiches Fleisch, ein Michelin-Baby, das auf einem Schnuller kaute, ein winziger Sumoringer, der durch sein Revier im Sandkasten am Washington Square stampfte, ein rundgesichtiger Unschuldsengel mit riesigen blauen Augen, ein Baby, das früh zu sprechen begonnen hatte und unglaublicherweise bereits Buchstaben zu erkennen schien. Enrique musste seine gesamte Selbstbeherrschung aufbieten, um die angeberischen Väter nicht mit Geschichten über das keimende Genie seines Sohns in die Stangen des Klettergerüsts zu pusten. Aber das waren nur sabassche Grandiosität und sabasscher Familienstolz, spielte er seine Euphorie herunter. Und er spielte auch die Tatsache herunter, dass er sich zutiefst beruhigt und getröstet fühlte, wenn er seinen schlafenden Sohn in den Armen hielt oder im Snugli vor der Brust oder an seiner Schulter trug. In letzter Zeit hatte sich Gregory angewöhnt, neben Enrique auf dem Wohnzimmerteppich zu sitzen
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