Glückliche Ehe
wichtigtuerischen Bruder brachte Rebecca zum Lachen. Er hörte, dass auch Margaret lachte. Während ihrer gesamten Ehe war es ihm kaum je gelungen, Margaret mit einer seiner witzigen Bemerkungen auch nur ein mattes Lächeln zu entlocken. Die wenigen echten Lacher hatte er für Slapstick-Nummern bekommen. Einmal war er mit einem Glas Cola Light in der Hand auf dem frischgewachsten Wohnzimmerboden ausgerutscht. Das Glas war ihm aus der Hand geflogen, und er war rücklings hingeschlagen. Im Liegen hatte er es geschafft, das Glas wieder aufzufangen, eine bemerkenswerte Leistung, nur dass er es falsch herum erwischt hatte. Der sprudelige Inhalt hatte sich in sein Gesicht ergossen. Genau so lachte sie jetzt.
Rebecca versuchte wie immer, in allem das Beste zu sehen. »Leo glaubt wohl, dass es für Jonah wichtig ist, sich zu verabschieden. Klar, ich weiß, das ist sentimental, aber so ist er nun mal, er ist eben ein sentimentaler –«
»Jonah kennt uns kaum«, knurrte Enrique. »Er sieht uns einmal im Jahr. Wenn’s hochkommt.«
»Ist schon okay«, rief Margaret aus dem Schlafzimmer.
»Soll ich ihn einfach nicht nach oben lassen?«, erbot sichRebecca. »Ich kann ihm ja sagen, dass sie schläft oder dass Max bei ihr ist.«
»Ja, sag ihm, er soll gehen! Sag ihm, Max ist bei Margaret«, sagte Enrique. Er wollte an die Seite seiner Frau zurückkehren und ihr sagen, um wie viel leichter sie die Enttäuschungen seines Lebens gemacht hatte, wie oft sie seine tägliche Freude ausgemacht hatte und wie viel von alldem er einfach genommen hatte, ohne es jemals zu würdigen. Und er wollte ihr sagen, dass er sie in den letzten zehn Jahren, besonders in der Zeit ihrer Remission und ihrer Krankheit, auf eine tiefere Art geliebt hatte als je zuvor, dass sie, zusammen mit ihren Kindern, das Wichtigste und Wertvollste in seinem Leben war.
Es klingelte. »Er ist schon da?«, fragte Enrique, vor Ärger den Tränen nahe.
»Er hat gesagt, er braucht eine Viertelstunde.« Rebecca stampfte mit dem Fuß auf. »Aber ihr kennt doch Leo. Er kommt immer eine halbe Stunde später! Ich kann’s nicht glauben, dass er diesmal nicht untertrieben hat.« Sie nahm Habtachtstellung ein. »Ich sage ihm, was immer ihr wollt.«
»Was soll das?«, nölte Enrique wie ein Kind. »Im Krankenhaus hat er uns zweimal in drei Jahren besucht.« Er verkündete dieses Faktum, als handelte es sich um eine schockierende Neuigkeit, dabei war dieser Umstand Rebecca und Margaret wohlbekannt. »Und jetzt kommt er zweimal in zwei Tagen, um sich zu verabschieden?«
Margaret erschien in der Tür. Die drei Meter vom Bett dorthin zurückzulegen hatte sie völlig erschöpft. Sie lehnte sich an den Türrahmen und schnappte nach Luft. »Puff«, bat sie. »Lass ihn rauf.« Es klingelte wieder. Er wollte ihr widersprechen. Sein Bruder hatte sich in dieser schlimmen Zeit einen Dreck um sie beide gekümmert, wie er Enrique auch schon in anderen – wenn auch nicht ganz so schwierigen – Phasen seines Lebens im Stich gelassen hatte, und jetzt stahler ihm kostbare Minuten mit seiner Frau. Margarets Art, mit Leos Narzissmus umzugehen – kühl und übertrieben höflich –, war wirkungslos. So selbstverliebte Menschen wie sein Bruder bemerkten subtilere Formen der Zurückweisung gar nicht, sie brauchten eins auf die Nase.
Außerdem, warum der ganze Höflichkeitsaufwand, wenn der Tod nur noch eine Sache von Tagen ist?, wollte Enrique fragen. Er sah sie an, wie sie da stand – ohne Augenbrauen, mit ihrem Topfkratzerhaar und den Ellbogenknochen, die sich durch die Haut bohrten, in der linken Hand einen Plastikbeutel mit ihrem Mageninhalt, mit der rechten an der Wand abgestützt, als könnte sie sich kaum aufrecht halten – und fühlte sich wie so oft außerstande, ihr zu widersprechen. »Ich wimmle ihn so schnell wie möglich ab, Puff«, versuchte sie ihn zu beruhigen. »Diesmal verstecke ich nichts. Ich werde stehen, damit er mich ganz sieht. Er bleibt nicht lange, ich versprech’s dir. Okay?« Sie seufzte erschöpft, während es zum dritten Mal klingelte.
Enrique instruierte Rebecca, die beiden nach oben zu lassen. Er blieb im Zimmer, stand in der Ecke Wache. Leo stand der Schock ins Gesicht geschrieben, als er sie erblickte. Margarets sorgfältige Aufmachung bei seinem ersten Abschiedsbesuch hatte ihn offenbar gründlich getäuscht. Sein Blick mied ihren perforierten Körper, während er die sentimentale Rede abließ, die er offenkundig bereits seit Stunden fertig im Kopf hatte
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