Glückliche Ehe
zu gehen, hatte es ihn nicht mehr gekümmert, ob der Film oder das Stück etwas taugte oder ob sich irgendein Schreiberling, der zehnmal so viel verdiente wie er, mit miesen Dialogen, einem schlampigen Handlungsaufbau, schwachen Charakteren und einer unehrlichen Story durchgemogelt hatte. Inzwischen grollte er nicht mehr seinen Freunden, die um ein Exemplar seines Romans gebettelt und dann nie ein Wort darüber verloren hatten. Fast alle diese Freunde waren während der ganzen Krankheitszeit nett und hilfsbereit gewesen, und nie würde er dieses Mitgefühl gegen Lobhudeleien über einen nicht mehr lieferbaren Roman eintauschen.
Jahrzehntelang hatte er sich über solche Dinge aufgeregt, aber jetzt, nachdem er das langsame Sterben seines Vaters und das Dahinschwinden der Mutter seiner Kinder mit angesehen hatte, hatte er endlich begriffen, dass der Tod mehr war als nur die praktischste Auflösung eines Handlungsstrangs, dass der Tod tatsächlich real war. Jetzt war ihm bis in jede seiner Gehirnzellen klar, dass er und alle auf dieser Welt bald nicht mehr da sein würden. Und jetzt, da ihm diese Tatsache Tag und Nacht präsent war, schien es absurd, am Zorn auf irgendetwas festzuhalten, den Tod eingeschlossen, denn der Tod war ja schließlich die unparteiliche Konsequenz des Lebens.
Er lag neben Margaret, genoss ihr Lob, glücklich, dass seine ausgemergelte Frau sich an ihm wärmte wie an einem Feuer, und fühlte sich bereit, mit seinem Abschied zu beginnen. Es war noch nicht der Zeitpunkt für ihr letztes Gespräch, aber er wollte schon mal eine Vorrede halten. Zuerst wollte er ihr dafür danken, dass sie gesagt hatte, was sie am Leben am meisten vermissen werde, sei das Zusammensein mit ihm und seinen Söhnen. Und dann wollte er etwas sagen, was zunächst vielleicht grausam klingen mochte. Er wollteihr sagen, dass er sich bis zu der Woche, in der ihr Krebs diagnostiziert worden war, nicht sicher gewesen war, ob er sie liebte. Er hatte sie so jung kennengelernt, sie hatten so jung Kinder bekommen, er war damals so unglücklich mit sich selbst gewesen, und er hatte einfach nicht erkennen können, ob ihre Konstellation Liebe war oder träges Dahintreiben im Strom des täglichen Lebens. Er war davon ausgegangen, dass er sie liebte, aber er hatte es nicht wirklich gewusst, bis er mit dem Schrecken, dem Faktum und der Qual ihrer Krankheit konfrontiert gewesen war. Da erst, durch diese unmittelbare, greifbare Realität, war ihm klar geworden, dass er alles tun würde, damit sie am Leben blieb. Seine kostbare Schreiberei, Sex, Geld, was noch von seiner Eitelkeit übrig war – alles, bis auf ihre Söhne, würde er hergeben, um sie zu behalten. »Mugs«, flüsterte er und holte tief Luft, bereit, ehrlich zu sein und das Risiko einzugehen, sie mit dem Bekenntnis seiner Unsicherheit einen Moment zu erschrecken. Da hörte er seine Halbschwester Rebecca von unten rufen: »Enrique? Entschuldige, Enrique! Bist du da oben?«
»Ich bin hier«, sagte er. »Was ist?« Rebecca hatte sich während Margarets gesamter Krankheit und vor allem in den letzten Wochen aufopfernd um sie beide gekümmert. Sie hatte im Gästezimmer geschlafen, Enrique zwischendurch abgelöst, Margaret getröstet, Max und Margarets Familie durch ihre Anwesenheit gestützt. Sie hatte ein genaues Gefühl für das, was in ihnen vorging, und war sehr rücksichtsvoll. Sie würde nie stören, wenn nicht irgendetwas wäre.
Es gehe um seinen Bruder, erklärte sie vom Fuß der Treppe aus, oder vielmehr ihren Bruder, seinen Halbbruder. Leo habe angerufen und gesagt, er komme in einer Viertelstunde mit seinem Sohn Jonah, Max’ und Gregs siebzehnjährigem Cousin, damit der Junge sich von Margaret verabschieden könne. »Oh, Gott«, murmelte Margaret verzweifelt.
Enrique löste sich von seiner Frau, behutsam, um nicht an ihrem PEG-Schlauch zu ziehen. Er ging ans obere Ende der Treppe. »Was?«, fragte er und blickte auf seine Schwester hinab. »Was zum Teufel will er hier?«
Rebecca stammelte verlegen: »Tut mir leid. Ich konnte nichts machen. Er war nicht davon abzubringen. Ich habe sogar gelogen und gesagt, heute sei Max’ Zeit mit Margaret, aber er hat gesagt, es dauert nur zehn Minuten.«
»Leo hat sich doch schon verabschiedet«, beschwerte sich Enrique. »Alle anderen kriegen einen Abschiedsbesuch, aber er kriegt zwei? Was ist das, eine Art Wettkampf? Wer wie oft am Sterbebett war – und der Sieger heißt Leo Rosen.«
Seine sarkastische Bemerkung über ihren
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