Glückliche Ehe
Sie war körperlich immer viel kleiner und zierlicher gewesen als er, obwohl sie ihm ansonsten in jeder Hinsicht viel größer und stärker erschienen war, vor allem hatte sie immer viel mehr Kampfgeist als er gehabt. Jetzt war sie winziger denn je, wog keine hundert Pfund mehr, und ihre feinen Gesichtsknochen zeichneten sich wie Zeltstangen unter der nahezu durchscheinenden Haut ab. Sie schwand dahin. Nicht in Eleganz, wie eine Heroine in einemHollywood-Film, diesen Eindruck machten der Schlauch, durch den der Inhalt ihres gelähmten Magens abfloss, und die Katheter über ihrer rechten Brust zunichte. Aber ihre tiefmeerblauen Augen, die in dem schmalen Gesicht noch auffallender wirkten, waren wunderschön. Sie sah jetzt ganz anders aus, und doch war die Schönheit der jungen, gesunden Margaret noch zu erkennen – die vitale Fröhlichkeit ihrer Züge, die hohen Wangenknochen, das Funkeln der lachenden azurblauen Augen, umgeben von weißer Haut und schwarzem Haar, in Spuren war das alles immer noch da. »Du bist so warm«, flüsterte sie und schmiegte ihren Kopf mit der dünnen Schicht nachgewachsenen Haars in seine Schulterbeuge. Sie schloss die tränenden Augen. Stärke, wurde ihm klar, als er ihre Zerbrechlichkeit an seinem ganzen Körper fühlte, Stärke hatte diese zierliche Frau ihm immer gegeben. Die Krankheit hatte ihm das genommen und die Polarität ihrer Ehe umgekehrt.
Vor fünf Wochen hatte Margaret in seiner Gegenwart zu Lily gesagt: »Enrique ist stark. Er kann jede Last tragen.« Davor hatte sie gerade erzählt, wie sie ihn instruiert hatte, ihre Ärzte zu einer aussichtslosen Operation zu bewegen und ihren bestürzten und verwirrten Eltern zu erklären, warum. »Das ist nicht einfach«, hatte die mitfühlende Lily bemerkt, um auf ihre sanfte Art ihrer besten Freundin zu verstehen zu geben, dass sie vielleicht zu viel von ihrem Mann erwartete. »Er schultert alles, was ich ihm aufbürde«, hatte Margaret geantwortet, und beide Frauen hatten ihn feierlich angesehen. Er hatte den Verdacht, dass Margaret vor ihrer Krankheit nicht derart auf seine Stärke vertraut hatte. Er jedenfalls hatte das nicht getan.
Nachdem sie sich eine Weile schweigend in den Armen gehalten hatten, rief Margaret aus: »Ich liebe das Zusammensein mit dir und den Jungen!« Es klang, als ob sie sich zu einer Affäre bekannte. »Das wird mir fehlen«, sagte sie.»Vor dem Sterben habe ich keine Angst.« Sie hob den Kopf und sah ihn an. Jetzt strömten die Tränen, aber sie lächelte ohne jede Bitterkeit. »Ich weiß, es klingt verrückt, aber davor habe ich wirklich keine Angst. Was so schwer ist, was mich quält, ist, nicht mehr mit dir und Greggy und Maxy zusammen sein zu können. Ich habe so viel Spaß mit euch. Ich werde euch so vermissen«, flüsterte sie, was als philosophische Aussage über Leben und Tod nicht hinhaute, als Beschreibung ihrer Gefühle aber absolut plausibel schien. »Das ist es, was mich traurig macht. Dich und die Jungen verlassen zu müssen«, sagte sie.
Er war sprachlos, und es tröstete ihn, dass er und die Jungen Margarets Freude im Leben waren. Wenn ihn zu irgendeinem Zeitpunkt seiner Ehe, diesen Tag eingeschlossen, ein Fremder gefragt hätte, was er Margaret als Ehemann gegeben hatte, wäre »Spaß« wohl das Letzte gewesen, was ihm eingefallen wäre. Es musste ja wohl etwas geben, das ihr an ihm gefiel, da sie sich immerhin dafür entschieden hatte, ihr Leben mit ihm zu verbringen, aber dass es ihr Spaß machte, mit ihm zusammen zu sein, darauf wäre er nie gekommen. So oft war er so gereizt und so unglücklich wegen seiner Arbeit, er stellte sich wegen der geringsten sozialen Verpflichtung dermaßen an, immer fragte er, ob ihm dieser Pullover oder jene Hose gut stand, stocherte sich nach dem Essen in den Zähnen, vergaß nie auch nur die leiseste Kränkung durch entfernteste Bekannte und fiel in politischen Diskussionen manchmal über Leute her, die er eigentlich mochte, als wären sie Nazis. Er hatte das Gefühl, keine angenehme Gesellschaft zu sein, und er musste es doch wissen, da er ja vierundzwanzig Stunden am Tag mit sich verbrachte. Wie hatte es Margaret, die fast dreißig Jahre mit ihm zusammengelebt hatte, entgehen können, dass er eine Zumutung war?
Vielleicht hatte sie ja vergessen, was für ein Ekel er gewesen war. Ihre Krankheit hatte etwas Grundlegendes beiEnrique verändert. Nach dem Schock ihrer Krebsdiagnose, als sie sich wieder gut genug gefühlt hatte, um ins Kino oder ins Theater
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