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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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miteiner Handbewegung ab: eine Leistung, die nicht der Rede wert war.
    »Margaret ist eine sehr gute, sehr liebevolle Mutter«, konzedierte er in einem Ton, als wären ihre mütterlichen Fähigkeiten eine Art billiger Trick.
    Damit war das Ende der ersten Sitzung erreicht. Enrique sah den Psychiater erwartungsvoll an. Margaret ebenfalls. Sie wollten einen Urteilsspruch. Das Urteil lautete, dass sie von weiteren Sitzungen à einhundertundzwanzig Dollar profitieren würden und dass sie das nächste Mal gegebenenfalls ihre Versicherungsunterlagen mitbringen sollten.
    Sie nahmen sich an der Fifth Avenue ein Taxi und fuhren schweigend nach Hause. Als das Taxi an der Fifty-Ninth Street an einer roten Ampel hielt, wandte er den Blick vom Plaza Hotel und sah, dass ihr Tränen über die Wangen liefen. Sie spürte, dass er sie ansah, und wischte die Tränen mit der flachen Hand weg. Als sie ihre zarten Finger wieder auf das Vinyl des Taxisitzes sinken ließ, legte er seine Hand auf ihre. Sie protestierte nicht und zog die Hand nicht zurück, reagierte aber auch sonst in keiner Weise. Sie starrte einfach nur geradeaus, ihre Hand leblos unter seiner.
    Zu Hause angekommen, hörten sie sich an, was ihre Nanny zu berichten hatte. Gregory hatte einen harten Tag gehabt. War im Park hingefallen und hatte sich das Knie aufgeschürft, mindestens ein Dutzend immer noch schmerzhaft aussehender Schrammen auf der Kniescheibe. Und außerdem hatte er Sand ins rechte Auge gekriegt, es war rot und geschwollen. Einen Mittagsschlaf hatte er auch nicht gemacht, weshalb er völlig übermüdet und quengelig war. Und zu allem hatte er sich auch noch geweigert zu baden, sobald Wasser an sein wundes Knie gekommen war. Sein Haar war verfilzt, sein Hals dreckig. »Du bist ja total hinüber«, sagte Margaret traurig und zärtlich und schloss seinen kompakten Körper in die Arme. Greg warf ihr die molligenÄrmchen um den Hals und machte erleichtert die Augen zu. »Du brauchst nicht zu baden. Wenn du nicht baden willst, ist das auch okay«, murmelte sie und küsste ihn auf die verschwitzte Stirn.
    Die Nanny ging. Margaret und Greg machten es sich auf dem Sofa bequem, der Kleine mit seiner gelben Schmusedecke, deren Satinkanten durchgewetzt waren. Die Decke würde im Lauf der nächsten Monate vollends auseinanderfallen. Margaret hatte bereits veranlasst, eine zweite gelbe Decke zu kaufen. Allmählich machte sie Greg mit dem Ersatz vertraut, und Greg war bereit, die neue Decke anzunehmen, wenn er die alte auch behalten durfte. Mit den beiden ineinander verschlungenen Fetischen verschwand er bis auf den Kopf unter einem gelben, vom Backofen seines kleinen Körpers warmen, duftenden Zelt.
    Enrique setzte sich in den Eames-Sessel, betrachtete sie beide und überlegte angestrengt, wann er ihr sagen sollte, dass er die Scheidung wollte. Ihr nächster Termin bei Goldfarb war in einer Woche. Nach der unschönen Sitzung eben hatte er keine Lust darauf. Er hatte sich immer noch nicht bei Margaret entschuldigt und ihr auch nicht ernsthaft und überzeugend versichert, dass er sie liebte. »Klar liebe ich Margaret«, hatte er bei Goldfarb genölt. »Ich habe sie ja geheiratet«, als wäre das der Beweis. Als er an dieses Highlight der Therapiesitzung zurückdachte, während er zusah, wie Margaret seinen Sohn beruhigte, erschrak er über seine kleinliche Reaktion. Okay, dachte er, Mutter und Kind betrachtend, kann ich das? Kann ich ihnen das wirklich antun?
    Das Klischee seiner sozialen Umgebung – gehobene Mittelschicht, New York, 1983 – lautete, dass eine unglückliche Ehe für ein Kind schlimmer war als eine Scheidung. Die meisten seiner Freunde und seine eigenen Halbgeschwister Leo und Rebecca waren Scheidungskinder. Sie waren zwar allesamt neurotisch und unglücklich, aber guten Teilsweniger neurotisch und unglücklich als Enrique, Produkt eines spannungsgeladenen, aber bis dato »heilen« Elternhauses. Für Enrique selbst wäre eine Scheidung zweifellos besser. Und wenn er hörte, wie zurückgewiesen Margaret sich fühlte, musste er daraus doch schließen, dass es auch für sie besser wäre. Die Wahrheit ist immer besser, war das Mantra der Generation, die von Nixon regiert worden war. Was er fühlte – dass sie ihn nicht mochte – und was sie fühlte – dass er sie nicht liebte –, lief doch, ganz egal, wie wahr welche Behauptung war, auf dasselbe Ergebnis hinaus: dass sie nicht zusammen sein sollten. Wenn ich recht habe und sie einen Kontrollwahn hat,

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