Glückliche Ehe
er Enrique aus dem Weg. Dass Bernard überhaupt Körperkontakt aufnahm, war etwas völlig Neues und brachte Enrique derart in Rage, dass er beinah handgreiflich geworden wäre. Margaret lachte, eine Eruption belustigter Laute, die sie sofort unterband, als hoffte sie, dass es niemand mitgekriegt hatte. Als stünde, so schien es Enrique, jemand hinter ihr, der das lachende Stakkato unterbrach, jemand, der auf Anstand undZurückhaltung hielt und somit das Gegenteil von ihr war mit ihrem forschen Blick, ihrer jungenhaften Körpersprache und ihrer übermütigen Art. Es war, als hätte eine tadelnde Stimme hinter den Kulissen sie ermahnt, nicht laut und ungehörig zu sein. Margaret sagte: »Das ist wirklich nett, aber ich brauche keine Eskorte. Ich kann seit der ersten Klasse allein nach Hause gehen.«
Sie ließen aber beide nicht locker. Es ging ihnen schließlich nicht darum, dass sie sicher nach Hause kam, sondern darum, mit wem sie sicher nach Hause kam. Somit war Enriques erster Versuch, Margaret für sich allein zu haben, gescheitert. Und ihm wurde nicht mal der Wangenkuss, den Bernard so leichtfertig ausgeschlagen hatte, als Belohnung für seine Mühe zuteil. Als sie in die Ninth Street einbogen, blies ihnen ein kalter Wind entgegen. Er wehte hier stärker, was daran lag, dass der ungewöhnliche Nachkriegsapartmentkomplex ein Stück von der Straße zurückgesetzt war, um Raum für eine sieben Meter breite Grünfläche zu lassen, eine Seltenheit in der City und vor allem im Village. Diese ganze Gediegenheit, nur einen Block von Enriques Eighth Street mit dem ordinären Lärm und den billig aussehenden Ladenfronten entfernt, verstärkte den Eindruck, den Enrique von ihr hatte, den einer in bürgerlichem Behagen lebenden Frau mit Times -Abo. Jetzt im Dezember brachte diese Gediegenheit freilich mit sich, dass der Wind noch grimmiger blies. Margaret deutete ein Zähneklappern an. »Danke! Gute Nacht, Jungs. Ich meine, guten Morgen.« Aufs Haus zueilend, rief sie ihnen über die Schulter zu: »Mir ist schrecklich kalt!«
Enrique blieb stumm, während sie die eineinhalb Blocks zurückgingen. Als sie an seiner Haustür ankamen, murmelte er Bernard einen Abschiedsgruß zu, stapfte die fünf Treppen zu seiner Wohnung hoch, ließ sich ins Bett fallen, ohne die Entschlusskraft, geschweige denn die Energie zum Masturbieren aufzubringen, und schlief sofort ein. Vier Stundenspäter rappelte er sich schwankend von seinem niederschmetternd einsamen Doppelbett auf, müde, missmutig und entschlossen, die nächste Runde zu gewinnen. Das Verlangen nach dieser Frau ließ ihm keine Ruhe. Er konnte sich zwar an kein einziges Traumbild erinnern, aber es kam ihm vor, als hätte er die ganze Nacht nur von Margaret geträumt. Er nahm sich gerade noch die Zeit, in seiner neuen Glaskolbenkanne einen Kaffee zu machen und ihn hinunterzustürzen, ehe er Bernard anrief. Auf das matte Hallo hin fragte er: »Schon auf?«
»Ach, ich war schon früh wach. Ich konnte nicht lange schlafen«, antwortete Bernard in einem Ton, als hätte das irgendetwas zu bedeuten.
»Ich fühle mich auch beschissen. Hab einen Kater.«
»Mann, du verträgst echt nichts«, nuschelte Bernard.
»Nein, ich meine doch nicht … Ach, vergiss es. Ich rufe wegen Margarets Telefonnummer an. Gibst du sie mir mal?«
Schweigen. Enrique wartete mit gezücktem Bleistift (wie in der Grundschule, dachte er amüsiert), vor sich einen Block seiner Lieblingsmarke National mit blassgrünen, linierten Seiten. Er starrte auf die Bleistiftspitze und horchte in die Stille des Telefons, als läge darin ein zu entschlüsselnder Code. »Bernard?«
»Warum willst du die Nummer?«
Enrique hatte keine Lust, darüber nachzudenken, warum Bernard eine derart bescheuerte Frage stellte. »Ich will mit ihr ausgehen.«
Wieder Schweigen.
»Bernard?«
»Hm … Ich …« Die Sprechpausen fielen selbst für den maulfaulen Bernard ungewöhnlich lang aus. Schließlich brachte er den Satz doch noch hastig zu Ende: »… will sie dir nicht geben.«
»Was?« Keine Reaktion. »Warum nicht?«
»Ich finde nicht, dass du mit ihr ausgehen solltest«, sagte Bernard so sachlich, dass Enrique zögerte. Er versuchte es mit einem Lachen – durchaus denkbar, dass Bernard ihn nur aufziehen wollte.
»Bernard …?«, sagte er in singendem Tonfall, als wäre dies eine lustige Unterhaltung. »Lass jetzt die Witze. Komm schon, gib mir die Nummer.«
»Das ist kein Witz.«
»Du meinst das ernst? Du willst mir ihre
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