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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Nummer wirklich nicht geben?«
    »Nein.« Sein Ton war seltsam nüchtern, eine schlichte Tatsachenfeststellung.
    »Warum nicht?«, winselte Enrique, durch Bernards Entschlossenheit irgendwie entmutigt. »Stehst du auf sie, oder was?«
    »Nein. Das weißt du doch. Ich hab dir doch gesagt, wir sind befreundet.«
    »Was kümmert es dich dann?«
    »Du solltest nicht mit ihr ausgehen. Sie spielt in einer anderen Liga als du.«
    Enrique wiederholte Wort für Wort, als lernte er eine neue Sprache: »Sie – spielt – in – einer – anderen – Liga – als – ich?«
    »Äh, ja. Ich muss jetzt Schluss machen, Enrique. Ich bin gerade am Schreiben. Wir sehen uns heute Abend beim Poker, okay? Um sieben?«
    »Du willst mir ihre Telefonnummer nicht geben, aber ich soll dich bei mir Poker spielen lassen?«
    »Ähm. Bis später.« Bernard legte auf.
    Enrique ließ den Hörer zuerst noch am Ohr, als wartete er darauf, dass Bernard sich noch mal meldete und sagte, er habe nur Spaß gemacht, und knallte ihn dann mit solcher Wucht auf die Gabel, dass er wieder hochsprang, über den Schreibtisch schlitterte, über die Kante fiel und auf demglänzenden, erst kürzlich versiegelten Parkett eine schwarze Scharte hinterließ.
    »Verflucht noch mal!«, rief er in den Raum und fragte sich, wie ihm so was passieren konnte. Vier Jahre zuvor war er von Time interviewt worden, und die New York Review of Books hatte seinen ersten Roman für eins der besten Bücher aller Zeiten zum Thema Pubertät erklärt. Wie sollte da eine freiberufliche Grafikerin aus Queens in einer anderen Liga spielen als er? Und wie konnte ein bleicher Wicht, der noch nie etwas veröffentlicht hatte, sich ein solches Urteil anmaßen? Und seit wann gab es Ligen, wenn es um Beziehungen ging? Sie lebten doch nicht im England des neunzehnten Jahrhunderts, und er war doch nicht der Waisenjunge Pip aus Charles Dickens’ Große Erwartungen , der um die reiche Estella warb! Bernard und Margaret, so hatte er in der Nacht erfahren, waren am College bei den Students for a Democratic Society gewesen. Margaret hatte gesagt, sie habe damals die Besetzung des Gebäudes der Student Union an der Cornell University unterstützt, zumindest die Ziele der Black Panthers, wenn auch nicht unbedingt die Methoden, obwohl sie der Anblick der Schusswaffen gar nicht mal schockiert hätte. Sie hätten »furchterregend und schön« ausgesehen. Gegen den Strich sei ihr gegangen, dass die Panthers sich zu einer Bewegung erklärten, die Schwarzen vorbehalten war, und sämtliche weißen Mitglieder der Students for a Democratic Society hinauswarfen. Wie sollte also diese Frau, die eine radikale Anhängerin der Prinzipien Integration und Gleichheit war und das Ende des US-amerikanischen Rassismus und Imperialismus forderte, den jüdischen, zweifach veröffentlichten Enrique als jemanden betrachten, der unter ihrer Würde war? Und wie kam Bernard dazu, so etwas zu behaupten – er, der Sozialist, der erbittert den Materialismus anprangerte, der an die Bürgerrechte glaubte und sich für das Selbstbestimmungsrecht derVietnamesen starkmachte? Wie kam er darauf, dass Enrique Sabas ein Date mit Margaret Cohen nicht zustand?
    Enrique hätte über diesen grotesken Fall von Heuchelei gelacht und alle, die er kannte, angerufen, um ihnen die umwerfend komische Geschichte zu erzählen, wenn er nicht insgeheim, und zwar gar nicht allzu tief in seinem Inneren, Bernards Einschätzung geteilt hätte. Er konnte ihr nicht das Wasser reichen. Sie war wunderschön, er war linkisch. Sie war heiter, in ihm staute sich die Wut. Sie hatte sexuelles Selbstbewusstsein, ihm machte Sex eine Riesenangst. Sie wirkte offen, selbstsicher und gebildet und hatte anscheinend normale Eltern. Außerdem wusste sie sich im Gespräch mit Charme zu behaupten, auch wenn sie nicht so gut wie Enrique Geschichten erzählen konnte, was aber kein Wunder war. Schließlich war das sein Geschäft. Wenn er ihr darin nicht immerhin überlegen wäre, könnte er sich gleich die Kugel geben.
    Ja, Bernard hatte recht, sie war für ihn unerreichbar. Allerdings glaubte Enrique trotzdem nicht, dass dies das eigentliche Motiv des verhinderten Schriftstellers gewesen war, Margarets Telefonnummer nicht herauszurücken. Bernard wollte sie selbst, und weil er wusste, dass er nie bei ihr landen konnte, wollte er sicherstellen, dass auch Enrique sie nicht haben würde.
    Enrique war Frauen gegenüber befangener denn je, seit Sylvie ihn hatte sitzenlassen und er bei
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