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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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befreite Zigarettenschachtel und begann ein Klopfkonzert.
    »Mit dem Namen der Schule, auf die ich sechs Jahre gegangen bin?« Enrique entgegnete Margarets Blick und gab ihr mit einer hochgezogenen Augenbraue zu verstehen, dass sie sich ja beide darüber einig waren, dass Bernard krauses Zeug redete, obwohl ihm durchaus bewusst war, dass auch sie eben noch diesen Standpunkt vertreten hatte. »Weißt du was«, schlug er Bernard vor, »wir nehmen die IRT-U-Bahn am Sheridan Square, steigen an der Station 168th Street / Broadway aus, gehen die fünf Blocks bis zur P. S. 173 zu Fuß, und dann kannst du mir nachweisen, dass ich mich in diesem zentralen Faktum meiner Kindheit vertan habe.« In der Formulierung »dieses zentrale Faktum meiner Kindheit« lag etwas zu viel wütender Sarkasmus, die Art stolzgeschwellter Humor, die er von seinem Vater hatte, der es fertigbrachte, sich über die eigene Grandiosität lustig zu machen und einem zugleich zu verstehen zu geben, dass man es ja nicht wagen solle, an seiner Großartigkeit zu zweifeln.
    Margaret hatte genug. Sie gähnte. »Ohne mich. Ich will jetzt nicht mehr U-Bahn fahren.« Sie wischte sich mit derZeigefingerspitze einen kleinen Tränentropfen aus dem Augenwinkel. »Ich muss ins Bett. Ich bin zu alt, um mir noch die Nächte um die Ohren zu schlagen. Ich muss mich hinlegen.«
    Enrique war hocherfreut, weil jetzt seine geographischen Berechnungen aufgehen würden. Mit frischem Elan tat er abermals, was auch sein Vater getan hätte – eine Geste, die diesmal nichts mit Unbeherrschtheit zu tun hatte, wenn auch mit sabasschem Stolz: Er übernahm die Rechnung, was Bernard erstarren ließ und Margaret zu erstaunen schien.
    Er hielt die breite, massive Eingangstür des Restaurants – ein Überbleibsel aus der Zeit, als das Gebäude noch eine Remise war – für Bernard und Margaret auf und blinzelte ins kalte Dezembermorgenlicht. Indes wärmte ihn der Gedanke, dass sich beim Abschied von Margaret die Gelegenheit bieten würde, sie nach ihrer Telefonnummer zu fragen. Er glaubte nicht, dass er den Mut aufbringen würde, es auf einen Kuss anzulegen – der wohl nach dieser nervigen Ménage à trois der vergangenen Nacht auch nicht angebracht gewesen wäre. Auf dem Weg von der Kreuzung Eighth Street und MacDougal Street zur Ninth Street östlich des University Place würde ihm aber genügend Zeit bleiben, durch intensive Blicke und einen sanfteren Ton, als er ihn in Gegenwart von Bernard Weinstein anzuschlagen wagte, seine Absichten deutlich zu machen.
    Sie spürten, wie nach der langen Nacht die Erschöpfung in ihre Gliedmaßen kroch, und gingen stumm nebeneinander her. Die Stadt erwachte nur zögerlich, denn es war Sonntag. Die Straßen waren leer bis auf einen Mann, der mit dem Hund Gassi ging, den Betreiber eines Deli, der Packen mit den einzelnen Büchern der Sunday Times aufschnitt, die sein Sohn dann flink zu vollständigen Zeitungen ineinanderlegte, und einen gutgekleideten alten Mann auf dem Weg in die Kirche St. Joseph.
    »Ich glaube, ich hole mir eine Times «, sagte Bernard.
    »Ich lasse sie mir bringen«, sagte Margaret und fügte hinzu: »Von Alpert’s«, so als hätte der Name des Zustelldienstes etwas zu bedeuten. Bernard kommentierte das mit einem sarkastischen Pfiff, während Enrique schwieg und mächtig beeindruckt war. Ein bisher vages Gefühl nahm jetzt Konturen an: dass diese junge Frau etwas solide Bürgerliches hatte, etwas Erwachsenes hinter den mädchenhaften Zügen, das ihn erschreckte und zugleich erregte.
    Er konnte jetzt aber nicht weiter über ihre Herkunft nachdenken. Endlich war der Moment gekommen, Bernard abzuhängen. Margaret schien zweifellos gewillt, ihn gehen zu lassen. Als sie zu den fünf schwarz gestrichenen Stufen des Sandsteinhauses kamen, in dem Bernard wohnte, spitzte sie die Lippen, um ihn zum Abschied auf die Wange zu küssen. Enrique fieberte dem Augenblick entgegen, da er sie ganz für sich haben würde, so dass er wegen des Kusses nicht einmal eifersüchtig gewesen wäre. Doch Bernard ließ es sich entgehen, ihre warmen Lippen auf seiner eisigen Wange zu spüren, und verkündete – er, der doch sonst die Lethargie in Person war –, er sei nicht müde und werde Margaret nach Hause begleiten.
    Ehe Enrique sich bremsen konnte, platzte er heraus: »Mach dir keine Mühe. Ich bring sie nach Hause. Ich muss ja sowieso in diese Richtung.«
    »Gerade mal zehn Schritte musst du in diese Richtung«, entgegnete Bernard, und fast rempelte
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