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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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seinem einzigen One-Night-Stand versagt hatte. Doch seine Schüchternheit und die Angst, zurückgewiesen zu werden, wichen rasch seiner politischen Entrüstung und seinem Wetteifer. Er wusste, dass Margaret in der Ninth Street wohnte. Auf die Hausnummer hatte er nicht geachtet, aber er konnte ja einfach hingehen. Notfalls konnte er sich im Foyer postieren und warten, bis sie kam, doch er fürchtete, dass ihm für einen solchen Minnedienst der Schneid fehlte. Vom unterstenseiner neuen Regalbretter nahm er das neue Telefonbuch, das die Telefongesellschaft NYNEX zusammen mit dem neuen Apparat und der neuen Nummer geliefert hatte, und schlug unter Cohen nach. Er wusste, dass alleinstehende New Yorkerinnen, um sich vor Anrufern zu schützen, die laut atmeten und obszöne Dinge sagten, entweder dafür zahlten, nicht im Telefonbuch zu stehen, oder nur die Initiale ihres Vornamens angaben, wobei Letzteres wohl nur die leicht beschränkten Perverslinge von einem Anruf abhielt. Wenn Margaret sich die Times zustellen ließ, so vermutete Enrique, würde sie es sich vermutlich auch etwas kosten lassen, nicht im Telefonbuch zu stehen. Er machte sich also wenig Hoffnung, als er mit dem Finger die lange Liste der Cohens in Manhattan entlangfuhr, bis er die mit M. abgekürzten Vornamen erreichte – und erlebte eine freudige Überraschung: Es gab insgesamt fünf M. Cohens, zwei auf der Upper West Side, zwei auf der Upper East Side und eine, eine einzige wunderbare M., in der Ninth Street. Das war sie – M. Cohen, 55 East Ninth Street.
    Als er zum Telefon griff, wurde ihm plötzlich mulmig. Er holte tief Luft, was aber gegen das ängstliche Gefühl nichts half. Er wählte M. Cohens Nummer. Ihm war klar, dass er kneifen würde, wenn er auch nur eine Sekunde nachdachte.
    Nach dem dritten Klingeln, als er schon drauf und dran war, wieder aufzulegen, nahm sie ab. Sie war heiser, wahrscheinlich vom gemeinsamen Redemarathon und den vielen Camel, klang aber dennoch fröhlich, als wäre sie zum Plaudern aufgelegt. Er sagte: »Hallo, Margaret, hier ist Enrique Sabas. Wir haben schon so lange nichts mehr voneinander gehört, dass ich dachte, ich melde mich mal.« Etwas Besseres als diesen wenig originellen Spruch, den er nervös, wie er war, förmlich schrie, brachte er nicht zustande, auch weil er immer noch ein wenig gekränkt war von dem, was Bernard gesagt hatte.
    »Das war irre«, sagte sie fröhlich, als wäre »irre« ein anderes Wort für vergnüglich. »Das habe ich seit dem College nicht mehr gemacht, so die ganze Nacht durch palavert. Und ob du’s glaubst oder nicht, ich bin auf dem Sprung zum Brunch bei einer Freundin, um dort weiterzuquasseln. Kann ich dich zurückrufen? Gibst du mir deine Nummer?«
    »Ja, klar. Ich dachte, wir könnten, äh, vielleicht mal ins Kino gehen oder –«
    »Ich bin froh, dass du dich meldest«, unterbrach sie ihn. »Ich wollte Bernard schon nach deiner Nummer fragen.« Enriques Herz, das wie ein kleiner Gnom in seiner hageren Brust kauerte, machte einen Freudensprung, wurde aber sofort wieder starr vor Angst, als sie fortfuhr: »Ich habe mir vorgenommen, ein Festessen für Waisenkinder zu organisieren, für alle die, die nicht zu Hause bei ihrer Familie sein können. Ich bin darauf gekommen, weil du mir erzählt hast, dass deine Eltern und deine Geschwister dich im Stich lassen würden.«
    »Das war mehr ein Witz«, erwiderte Enrique. Um sich interessanter zu machen, hatte er irgendwann zu Beginn des nächtlichen Gesprächs eine kleine Enttäuschung mächtig aufgebauscht und so getan, als wäre er tieftraurig darüber, dass er dieses Jahr zum ersten Mal in seinem Leben kein Thanksgiving und keine jüdische Weihnacht mit seiner Halbfamilie und den Halbgeschwistern feiern würde.
    »Ja, ich weiß, dass du dich nicht wirklich darüber beklagst. Aber du hast gesagt, deine Eltern sind über Weihnachten in England, und bei meinem Freund Phil Zucker ist es ganz ähnlich, seine Familie macht eine Kreuzfahrt, und ich weiß von noch mindestens zwei anderen Freunden, dass sie über die Feiertage allein sind, also dachte ich, ich lade alle diese Waisenkinder zu mir zum Essen ein.« Wieder brach unvermittelt eine dieser stakkatoartigen Lachsalven aus ihr hervor, um ebenso plötzlich wieder abzubrechen. »Irre Idee, oder?«
    »Hört sich prima an«, log Enrique. Damit er glaubwürdiger klang, fügte er hinzu: »Ich komme sehr gern.« Einen Abend mit Margaret und mindestens zwei oder drei Männern zu verbringen, war
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