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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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zu halten; sie stand dann auch unter dem Empfängernamen (Enrique Sabas) im Antworttelegramm jener glamourösen, bald darauf tragisch endenden politischen Figur – nur eine höflichen Absage, aber ein dennoch unglaublich aufregendes Dokument. P. S. 173, P. S. 173, P. S. 173 – say it soft, and it’s almost like praying . Dass er sich nur einbildete, Romane verfasst zu haben, war wahrscheinlicher, als dass er den eleganten Namen seiner eigenen Grundschule nicht mehr richtig wusste. Doch um es sich mit dieser lebhaften, munteren, wunderschönen Frau nicht zu verscherzen, nickte er gedankenvoll, als Margaret sagte: »In New York kann es nicht zweimal die 173 geben. Das gäbe doch Chaos.« Sie sagte das zu Enrique, aber die Art, wie sie es sagte, und ihr Tonfall hatten etwas Beschwörendes, so als richtete sie ihre Worte an eine höhere Macht, der sie stets nachweisen musste, dass ihr Denken geordnet vonstattenging.
    »Was für ein Chaos denn?«, wollte Enrique wissen.
    »Chaos mit …« Ihr fiel offenbar nichts ein. Sie starrte Bernard an, als wüsste er die Antwort.
    Zu Enriques Ärger wusste er tatsächlich eine: »Das Chaos beim Bestellen von Schulbedarf.«
    »Genau!«, schloss sich Margaret entzückt an. »Eine der beiden P. S. 173 würde sämtliche Bleistifte geliefert kriegen, und in der anderen Schule hätten die armen Kinder keine Stifte zum Schreiben.«
    Ihre Munterkeit hob Enriques Laune. Gern folgte er ihr in die Gefilde der Pseudorationalität. »Bist du sicher, dass das Numerierungssystem wirklich für die ganze Stadt gilt und nicht jeder Bezirk sein eigenes hat? Bei uns war man ziemlich stolz darauf, in Manhattan zu sein. Auf allem stand ›P. S. 173 Manhattan‹. Wir mussten das sogar auf jede Hausaufgabe schreiben, genau so: P. S. 173 Manhattan.« Natürlich war es albern, mit solch logischen Herleitungen zuargumentieren. Doch sein Gefühl, sie auf dieser Ebene überzeugen zu können, hatte ihn nicht getrogen. Sie runzelte die Stirn und blickte nachdenklich zur Seite.
    Bernard ließ die vorderen Beine seines Stuhls mit einem dumpfen Knall aufsetzen. »Das hast du jetzt aber erfunden«, beschwerte er sich. »Ich habe nie ›Queens‹ unter den Namen meiner Schule geschrieben.«
    »Das liegt wohl daran, dass du auf einer schicken Schule in Forest Hills warst«, gab Enrique zurück. Margaret hatte vorher einmal bemerkt, Bernard sei im »schicken« Teil von Queens aufgewachsen und nicht in ihrem »winzigen, piefigen Viertel«, eine wichtige Unterscheidung für jugendliche antimilitaristische und antimaterialistische Snobs, wie sie es waren. Bernard hatte versucht, aus der Schublade, in die sie ihn steckten, wieder herauszukommen, und behauptet, Forest Hills sei gar nicht schick. »Oh doch«, hatte Margaret mit einem spöttischen Lächeln erklärt, das Bernard zusammenzucken ließ. »Dagegen ist mein Viertel in Queens so öde, dass es nicht mal einen Namen hat. Es heißt einfach nur ›in der Nähe von soundso‹«, eine von vielen Bemerkungen, die Enrique faszinierten, weil sie wie die distanzierten, geistreichen Betrachtungen eines Schriftstellers waren.
    »Warte!« Margaret streckte die erhobene Hand vor sich wie eine Schülerlotsin, die die beiden davon abhalten wollte, bei Rot die Straße zu überqueren. Sie blickte, in ihrem Gedächtnis kramend, an Enrique vorbei in die Ferne: »Du hast recht. Ich habe in die oberste Zeile meinen Namen hingeschrieben, dann meine Klasse und darunter ›P. S. 173 Queens‹! Ich habe Queens hingeschrieben. Ich dachte nur …« Sie verstummte und starrte ins Leere, als hätte ihr jemand die Batterien herausgenommen.
    Enrique versuchte, Margarets unausgesprochenen Gedanken zu erraten: »… dass es dabei um Lokalpatriotismus ging, nicht um eine wirklich wichtige Unterscheidung. Es gab dieP. S. 173 Queens, und es gab die P. S. 173 Manhattan – deshalb mussten wir beide als Kinder keinen Bleistiftmangel leiden.«
    Sie lächelte ihn an und enthüllte dabei wieder die nicht ganz makellosen Zähne – zu klein und mit Lücken dazwischen –, die ihre ansonsten überwältigende Schönheit gerade so weit untergruben, dass Enrique ihr ins Gesicht schauen konnte, ohne dass ihm vor Ehrfurcht der Mund offen stand. »Na ja«, entgegnete sie, »wir mussten unsere Bleistifte sowieso selbst kaufen.«
    Bernard wollte nicht klein beigeben. »Nein, das glaube ich nicht. So menschenfreundlich ist die Stadt nicht. Du hast dich vertan«, nuschelte er zu Enrique hin, nahm seine vom Zellophan

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