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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Gastroenterologen zurechtgemacht. Sie hatte sich alle Mühe mit ihrer Perücke gegeben, damit die Nachbildung ihres kurzgeschnittenen schwarzen Haares so natürlich wie möglich wirkte, und sie hatte einen hübschen grüngeblümten Rock angezogen. Dazu trug sie ein weißes Seiden-T-Shirt, das sich elegant an ihren Oberkörper schmiegte, wenn man einmal von den Beulen der drei Katheterzugänge oberhalb der rechten Brust absah, die für die PE und andereintravenöse Behandlungsmaßnahmen gelegt worden waren. Ihre weißen Zähne, vor über zwanzig Jahren gerichtet und seither ohne Lücken und wohlproportioniert, strahlten, als sie trotz der strengen Miene des Irakers ein tapferes, fröhliches Lächeln hinbekam. »Weil ich nur als Versuchskaninchen benutzt werden sollte«, antwortete sie.
    »Ja und?«, schimpfte er. »Sie haben metastasierenden Krebs. Sie sind unheilbar krank. Versuchskaninchen sein ist Ihre einzige Chance.«
    »Ich habe ja nichts dagegen, Versuchskaninchen zu sein«, entgegnete sie, auf dem Untersuchungstisch sitzend, und schwang die hübschen schlanken Beine wie ein Mädchen auf einer Schaukel, das die Jungs provozieren will. »Ich habe nur etwas dagegen, ein Versuchskaninchen in einem fehlgeschlagenen Experiment zu sein.«
    »Was soll das heißen – fehlgeschlagenes Experiment?«, sagte er und betonte diese Wörter so, als wären sie unsinnig oder in einer Sprache, die er jedenfalls nicht verstand. »Woher wollen Sie wissen –«
    Sie unterbrach ihn: »Es war ein schreckliches Medikament. Ich wäre die letzte Patientin gewesen, die an der Studie teilgenommen hätte. Man wusste bereits, dass das Medikament nicht wirkt. Man brauchte nur noch ein weiteres Versuchskaninchen für die letzte Gruppe, um die Studie beenden und den Rest der Fördergelder kassieren zu können. Das Medikament hat nur bei einer einzigen Patientin dazu geführt, dass sie noch sechs Monate lebte, aber diese Frau hatte nicht mal meine Art von Krebs – sie hatte Eierstockkrebs. Alle anderen sind vor Beendigung der drei Zyklen ausgestiegen, weil sie meinten, dass ihnen das Medikament jedes positive Empfinden nimmt.«
    »Positives Empfinden?«, murmelte er und schien sich jetzt sicher zu sein, dass das, was er da hörte, nicht seine Sprache war.
    »Alle Lebensfreude«, erklärte Enrique sanft. Ihm war gesagt worden, wenn irgendjemand Margaret helfen könne, dass sie sich nicht mehr mit der Präzision einer Atomuhr alle vier Stunden übergeben müsste und sogar am Leben erhalten werden könne, während man die Behandlung mit dem neuesten Medikament, Avastin, wieder aufnähme – einem Medikament, das zwar bislang bei Blasenkrebs noch keine Wirkung gezeitigt hatte, es ja aber vielleicht doch tun würde ( Warum nicht? Warum sollte nicht das Unerwartete geschehen?) –, wenn irgendjemand ihr also helfen könne, dann sei es dieser Mann. Enrique war sich sicher, dass diese euphorische Verehrung des Irakers eine dieser Übertreibungen war, wie sie in der Welt der unheilbar Kranken üblich zu sein schienen und die mit der für New Yorker typischen Fixierung auf Berühmtheiten konvergierten, denen gern mythische Fähigkeiten zugeschrieben wurden. Obwohl Margaret sich über sich selbst lustig machte, weil sie solchen Behauptungen Glauben schenkte, hoffte sie von ganzem Herzen auf diesen Mann. Sie war ein nettes jüdisches Mädchen aus Queens, und in dieser Enklave galt es als grundlegende Notwendigkeit, den besten Arzt zu haben. Der mächtige Chef der Onkologie hatte ihr gesagt, dass sie an diesen Mann glauben solle, und sie gewarnt, dass der Iraker sich von niemandem unter Druck setzen lasse. Also tat Enrique sein Bestes, in Tonfall und Benehmen unterwürfig zu erscheinen, zumal er sich bewusst war, dass Margaret bei all ihrem Respekt vor Autoritäten manchmal zu unverblümt, zu fordernd oder zu ungeschmeidig für Männer wie diesen hier war – Männer, die gerne breitbeinig durch die Welt marschierten, besonders durch die weibliche. »Fünfzig Prozent der Patienten in der Studie brachen die Behandlung mit diesem Medikament ab, bevor sie die volle Dosis bekamen«, sagte Enrique. »Es heißt übrigens Epotholide. Sie hörten auf, Epotholide zu nehmen, weil es nicht gegen den Krebs halfund ihnen zudem jede Freude nahm. Anhedonie ist, glaube ich, die Bezeichnung für die Unfähigkeit, irgendeine Art von Lust und Freude zu empfinden.
    »Anhedonie«, wiederholte der Famulant des großen Mannes und notierte etwas.
    »Ja«, bestätigte Enrique und
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