Glückliche Ehe
schwarzen, farbverschmierten Klamotten. Keines dieser männlichen Exemplare schien willens oder in der Lage, mit dem monologisierenden Phil in Konkurrenz zu treten. Dann kam Pam, eine sehr dünne, kleine Frau mit olivfarbenem Teint und stumpfbraunem Haar, womit die Waisen jetztaus fünf Männern und drei Frauen bestanden. Dieses verzagte kleine Ding allerdings neben der kühnen Margaret und der lebhaften Lily konnte kaum als vollwertige weibliche Teilnehmerin gelten. Pam war so schüchtern, dass es schon krankhaft war: Sie bewegte beim Sprechen die Lippen kaum und bekam kein Lächeln hin, während ihre nervösen kleinen Augen ständig hektisch hin und her blickten, als gälte es, jederzeit einem möglichen Überraschungsangriff zu begegnen. Sie schien von der Situation völlig überfordert, wie sie so in einer Ecke des Sofas saß und ihr Weinglas mit beiden Händen festhielt, als müsste sie es vor Handtaschenräubern schützen.
Pams Schüchternheit half Enrique nicht gerade. Während Margaret zu der sich rasch leerenden Flasche Margaux Kräcker mit Brie herumreichte, saß er passiv da, was sich grässlich anfühlte. In seinen Augen war sein Gefieder das am wenigsten imposante. Plötzlich kam ihm sein Präsent für Margaret idiotisch vor. Als ob seine Mutter sich plötzlich in sein Bewusstsein gedrängt hätte, rechnete er aus, dass die Gäste, wenn sie in diesem Tempo weitermachten, in zehn Minuten achtzehn Dollar vernichtet haben würden. Ihre Achtlosigkeit erschien ihm ignorant und beleidigend zugleich.
Schließlich tauchte Margaret mit einer großen weißen Schüssel auf und verkündete: »Hier kommt es! Mein traditionelles Weihnachtsgericht – Linguine und Shrimps in Marinara-Soße.« Wenn Enrique erwartet hatte, dass die Massenwanderung zum Glastisch an der Fensterwand Phils Kampfrede gegen die bourgeoisen Tendenzen des Cornell-Abschlussjahrgangs 1972 endlich unterbrechen würde, hatte er sich getäuscht. Dass Lily sich Phil direkt gegenübersetzte, gab ihm nur noch Auftrieb. »Nur weil Lilys Vater ein braver Landarzt ist, heißt das noch lange nicht, dass all diese Arschlöcher aus irgendeinem anderen Grund Medizin studieren als wegen des Geldes«, verkündete Phil, als sie sichniederließen. »Um reich zu werden und Golf zu spielen. Guter Gott. Das ist ihre Strafe. Für den Rest ihres jämmerlichen, raffgierigen Lebens Golf spielen zu müssen.«
Obwohl sein Ton so verächtlich und entrüstet war, legte er doch einen wahren Auftritt hin: halb Comedy-Club, halb eloquentes Intellektuellengeschwurbel, er beherrschte jede Tonart, weshalb Enrique gänzlich verstummte. Das Problem war, dass Enrique diese großspurigen linksradikalen Tiraden – witzig genug vorgetragen, um über den Vorwurf der Humorlosigkeit erhaben zu sein – zuweilen selbst gern abließ (wenn auch erheblich witziger, hoffte er doch).
Vielleicht ist er darin ja besser als ich, sagte sich Enrique, und ich kann ihn deshalb nicht ausstehen. Er wurde noch verschlossener und wollte nichts mehr von den anderen wissen: von diesen seltsamen jungen Leuten und von der samtäugigen Köchin, die ihm gegenüber am Kopfende des Tischs saß. Er hatte sich aus Verdruss möglichst weit von Margaret weggesetzt, mehr oder weniger bereit, sein Bemühen um sie aufzugeben, da sie ja offenbar Phil gehörte. Ihm war die Symbolik entgangen, die darin steckte, den Platz am anderen Tischende zu wählen. Phil hingegen übersah nicht, welche besondere Rolle Enrique sich damit ausgesucht hatte. Als Margaret ihm widersprach, unterbrach er sie. »Seid ihr beide heute Abend Mom und Dad? Gebt ihr mir bitte, bitte die Autoschlüssel?«, giftete er Enrique an.
»Du musst erst mal den Führerschein machen«, antwortete Enrique gelassen, obwohl er eine halbe Stunde nichts mehr gesagt hatte und es ihm peinlich war, jetzt plötzlich ins Gegenteil zu verfallen. »Dann können wir drüber reden.« Pam schien das äußerst komisch zu finden. Sie zeigte ein bislang wohlverstecktes Lächeln, bog ihren dürren Körper zu ihm hin – sie saß zu seiner Linken – und sagte mit überraschend sexy-heiserer Stimme: »Gib sie ihm nicht. Er ist zu jung, um Auto zu fahren.«
»Viel zu jung«, stimmte ihr Enrique bei. Ihm war klar, dass sie ihn anmachte. Er war so jung und Frauen gegenüber so schüchtern, dass er auf weibliches Interesse, um das er nicht selbst warb, typischerweise reagierte, indem er die betreffende Frau behandelte, als hätte sie ihn beleidigt. In Wahrheit wusste er
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