Glückliche Ehe
einfach nicht, was er mit diesem Interesse anfangen sollte. Einmal hatte er den Fehler gemacht, genauso charmant zu reagieren, und die Frau hatte ihn in ihr Bett dirigiert, wo er dann kläglich versagt hatte. So war er sich nicht nur dämlich vorgekommen, sondern hatte sich dazu noch geschämt, und seither scheute er sich erst recht, sich wie ein normaler junger Mann zu verhalten, sprich, wenn sich nichts Besseres bot, eben mit Mädchen zu vögeln, die er weder mochte noch attraktiv fand. Selbst als langhaariger, kiffender Jungmarxist hatte Enrique gern zugeschaut, wie James Bond Frauen auszog, die ihm nichts bedeuteten und die ihm manchmal nach dem Leben trachteten. Daher enttäuschte es ihn, dass er Liebe oder zumindest etwas sehr Ähnliches selbst dann empfinden musste, wenn es nur ums Flirten ging. Es erschien ihm unmännlich, dass sein Herz nicht fühllos war, dass dieses Herz seinen Penis an seinen Aufgaben hinderte. Deshalb wurde er noch unsicherer, als Pam Interesse zeigte.
Aber er wollte nicht, dass eine Frau, die ihm leid tat (und ihm tat jede Frau leid, die er unattraktiv fand), sich von ihm zurückgewiesen fühlte. Er brachte ein mattes Lächeln zustande. »In Wirklichkeit bin ich derjenige, der keinen Führerschein hat.« Sein Blick wanderte abwärts, über den dünnen Knabenkörper unter der weißen Folklorebluse. Die obersten drei Knöpfe waren offen, und statt weicher Kissen sah er ein vorstehendes Brustbein. Das überzeugte ihn endgültig, dass es ihm nicht gelingen würde, seine Fahne in diesem steinigen Gefilde zu hissen.
»Du kannst nicht fahren?« Pams erstaunte Stimme zog etliche Blicke auf sie beide.
»Doch. Kann ich schon«, sagte Enrique. »Jedenfalls gut genug, um einen Totalschaden zu verursachen. Aber ich habe keinen Führerschein.«
»Ich glaub’s nicht!«, rief Pam so entzückt, als hätte er etwas ganz Besonderes geleistet.
»Es gibt einiges, was ich nicht habe. Ich habe keinen Highschoolabschluss, weil ich die Schule nach der Zehnten geschmissen habe. Ich habe keinen Collegeabschluss – klar. Ich habe keine Kreditkarte. Ich könnte ewig aufzählen, was ich alles nicht habe. Kürzer ist die Liste dessen, was ich habe.«
Natürlich hatte er damit seinen verlässlichsten Köder ausgeworfen, und schon kurz darauf nickte Pam eifrig und sagte: »Oh, wow. Das ist ja unglaublich. Das ist wirklich toll.« Zwischen Bissen von Pasta und Shrimps erzählte er ihr von seiner Rebellion gegen die Highschool und seine Eltern, von seinem ersten Roman und von seiner dreijährigen Beziehung mit Sylvie, die Frauen, wie er wusste, zweierlei signalisierte: erstens, dass er trotz seiner Jugend erfahren war, und zweitens, dass er keine Angst vor einer festen Bindung hatte. Nach dieser kurzen Vorstellung stellte er Pam ein paar Fragen, erfuhr aber nichts, was ihn interessierte. Nicht, dass er gezeigt hätte, wie ihn das alles langweilte: ihre spießige Vorortkindheit, ihr herrischer Vater, ihr Bruder, der für den Vietnamkrieg war, ihre unterwürfige Mutter und ihr Traum, Modern Dance zu studieren, statt eine erste Klasse zu unterrichten – der Job, den sie nach ihrem Pädagogikstudium an der Columbia angenommen hatte.
Ihr Gespräch entwickelte sich zu einem Tête-à-Tête abseits der Debatte, in die Phil mit seiner unerbittlichen Hetze gegen bourgeoise Werte inzwischen Margaret und Lily verwickelt hatte. Pams Lebensgeschichte war so banal, dass Enrique nebenbei der Diskussion der anderen folgen konnte. Er hörte Margaret einwenden: »Klar, die meisten Ärzte, wenn nicht gar alle, wollen Geld verdienen, was ja auch nichtso schlimm ist. Aber manchen geht es wirklich um die gute Sache, Brad Corwin zum Beispiel. Er macht doch bei diesem Ärzteprogramm auf dem Land in Virginia mit, stimmt’s, Lily?«
Enrique konnte sich dann doch nicht mehr so richtig auf Pams Ausführungen konzentrieren, als Lily insistierte, es gebe sogar Juristen, die Gutes täten. »So wie du, Phil. J’accuse! «, sagte Lily mit jener schwungvollen Geste, die Enrique so vertraut werden sollte. »Du vertrittst ehrenamtlich Bedürftige und du verteidigst die Armen für niedrigere Honorare.«
Verblüfft unterbrach Enrique Pam mit der Frage: »Er arbeitet ehrenamtlich?«
»Was?«, sagte Pam. Sie hatte gerade erklärt, das Hauptproblem beim Unterrichten seien nicht ungezogene Schüler, unzureichendes Material oder überfüllte Klassen, es bestehe vielmehr darin, dass sie so viel Zeit damit verbringe, die Kinderherde durch die Gegend
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