Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
Vom Netzwerk:
zu bugsieren.
    »Phil arbeitet ehrenamtlich?«, fragte flüsternd Enrique an Pam vorbei den dünnen, schwarzgekleideten Typen, der nicht Bernard war. Der Typ nickte. Enrique sagte zu Pam: »Sorry. Die Kinderherde – das ist witzig. Stimmt aber, das ist alles, woran ich mich aus der ersten Klasse erinnere. In Zweierreihen aufstellen. Und ich war immer der Letzte.« Bis zu diesem Moment hatte er sich mit dem Gedanken getröstet, dass er, selbst wenn ihm Phil bei Margaret eine Nasenlänge oder auch mehrere voraus war, diesen linken Schwätzer doch, wenn es darauf ankam, allemal ausstechen konnte. Phil mochte Margaret bereits erobert haben, aber Enrique war sich sicher gewesen, dass seine Existenz doch grundsätzlich die noblere war. Jetzt wusste er, dass dem nicht so war. Phil war kein Poseur, er half tatsächlich den Unterdrückten. Ja, Phil war sogar jemand, den Enrique jetzt ebenso bewunderte wie seinen Halbbruder Leo, der einstbeim Streik an der Columbia University dem Lenkungskomitee der Students for a Democratic Society vorgestanden hatte und jetzt die Panthers bei ihren verschiedenen Gerichtsprozessen unterstützte. Diese Erkenntnis war noch viel niederschmetternder als die, dass Phil mit Margaret offensichtlich sehr vertraut war.
    Doch was war schon diese sichere Niederlage in einer so profanen Disziplin wie der Liebe? Das war doch keine Katastrophe für den jungen Enrique. Nichts verglichen mit der Schmach eines zweiten Romans, der weniger Rezensionen erhielt als der erste und sich nur halb so gut verkaufte. Ja, das fröhliche Mädchen mit den perfekten Schenkeln und den lachenden Augen wäre ein schöner Siegerpreis gewesen. Aber nicht der eigentlich wichtige.
    Jetzt war alles klar. In seinem Kopf hatte nun wieder die beruhigende Stimme des allwissenden Erzählers das Wort. Der wahre Zweck dieses Waisendinners wurde ihm langsam klar, wie ein einsamer Leuchtturm aus dem Nebel auftaucht: Margaret wollte ihn mit der netten, langweiligen Pam verkuppeln. Er schwitzte nicht mehr unter seinem wollenen Pulloverzelt. Der Baumwollstoff seines Brooks-Brothers-Hemds löste sich von seiner Haut und trocknete allmählich. Sein Atem ging leichter und tiefer. Seine Beine und sein Rücken entspannten sich, weil er nicht mehr im Dschungel männlicher Rivalität kauerte, Angriffe planend und gleichzeitig fürchtend. Er sah jetzt seinen Platz und seinen Weg. Er widmete sich der plappernden Pam, wandte sich ihr zu und fixierte sie mit seinen braunen Augen – Rehaugen, hatte sie Sylvie in einem leidenschaftlichen Moment genannt –, blind und taub für Margaret und ihre Krieger. Nur einmal schaute er kurz zu ihr hinüber, um nach seinem Weinglas zu greifen und den letzten Tropfen Margaux zu trinken, und sah, wie Margaret ihn und Pam beobachtete, zufrieden – wie er annahm –, dass ihr Plan aufgegangen war.
    Er sah wieder Pam an und dachte betrübt, dass seine Gastgeberin recht hatte. Das hier war ein so harmloses, glanzloses Mädchen, wie er es verdiente. Wahre Männer, Männer der Tat und noch dazu der guten, verdienten eine Frau, wie sie weit weg von ihm am anderen Tischende saß, viel weiter weg als nur die realen zwei Meter: diese schimmernd weiße Haut mit den göttlichen Sommersprossen, diesen lachenden Mund und diese wache Stimme, diese tanzenden blauen Augen und diese Jeans, die sich an ihren Körper schmiegte. Und so schlimm war es ja auch wieder nicht. Auf sein Leben, sein eigentliches Leben, dessen Ziel die Eroberung der literarischen Welt war, würde es sich kaum auswirken, dass dies der letzte Abend war, den er mit Margaret verbrachte.

8 IM LAND DER ABSCHIEDE
    E s war nicht Margaret, die das Thema anschnitt, wo und wie sie beerdigt werden würde. Ihre Eltern kamen darauf zu sprechen, kurz nachdem sie es aufgegeben hatten, Margaret davon zu überzeugen, dass es falsch war, sämtliche Behandlungsmaßnahmen einzustellen.
    Am Morgen, nachdem Margaret erklärt hatte, sie wolle sterben, erschienen sie im Sloan Kettering, um ihr Plädoyer zu halten. Da Margarets Entlassung um einen Tag verschoben worden war, damit die häusliche Betreuung durch das Hospiz organisiert werden konnte, hofften ihre Eltern, sie überreden zu können, in der Klinik zu bleiben und sich weiteren verzweifelten Maßnahmen zu unterziehen. Doch Margaret weinte so hemmungslos und bat sie, ihr die Entscheidung nicht ausreden zu wollen, dass ihnen alle Argumente ausgingen. Sie zählte auf, was sie alles über sich hatte ergehen lassen, um ihr Leben zu

Weitere Kostenlose Bücher