Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
Vom Netzwerk:
er das ganze Studio-Apartment im Blick hatte. Er streckte die sehr langen Beine zu der winzigen Lily hin, die aufrecht am Tisch saß, als würde jeden Augenblick das Essen serviert werden. Durch diese merkwürdige Sitzordnung blickte Lily direkt auf Sams übergroße, in Arbeitsstiefeln steckende Füße, als präsentierte er sie ihr, damit sie ihre Länge und Breite bewunderte oder sonst irgendetwas damit machte. Selbst an einer so langen Gestalt sahen sie aus wie Clownsfüße, wodurch er in Kombination mit dem buschigen Haar und dem nicht vorhandenen Kinn etwas Tölpelhaftes und, wie ein Clown, Einschüchterndes zugleich hatte.
    Phil sah Enrique düster an und streckte ihm die Flasche verächtlich wieder hin. »Heißt nicht Margaret.«
    »Was heißt Margaux dann?«, fragte Lily Sam, den Blick auf seine Riesenfüße geheftet. »Wenn es nicht für Margaret steht, wofür soll es denn dann sein, ich meine stehen – Mann, ich kann gar nicht mehr richtig sprechen!« Sie hob ihr Weinglas. »Macht diese Flasche auf, egal wie sie heißt.«
    »Margaux«, sagte Sam mit professoralem Ernst, »ist Margaux. Steht für sonst gar nichts. Es ist das Ding an sich«, schloss Sam mit einer schwungvollen Geste seines langen Arms und seiner langen, spitzen Finger.
    »Das Ding an sich!«, rief der blassäugige Krieger aus. »Sartre«, setzte er hinzu und sprach den Namen des großen Philosophen perfekt französisch aus. Er sah Enrique an, der immer noch in dem Army-Parka steckte, seinen peinlich kontroversen Wein in der Hand.
    Enrique glühte vor Scham und Wut ob der Art, wie dieser gutaussehende Typ seinen Versuch, Margaret zu schmeicheln, zunichtegemacht hatte. Er streckte die FlascheMargaret hin. Sie reagierte auf das ganze Geplänkel, als ob sie gerade aufgewacht wäre und nicht recht wüsste, wer Enrique war. Sie hielt die Tüte mit dem zweiten Margaux in der Hand und machte keinerlei Anstalten, die Flasche, die Enrique ihr reichte, entgegenzunehmen. »Ich weiß nicht«, sagte er mehr zu ihr als zu Phil. »Ich entstamme einer Bauernfamilie. Für mich trinkt man Wein aus Ziegenfellschläuchen, und ich sage nicht ›Sart‹, sondern ›Sat-rah‹.«
    Margaret lachte auf und war schlagartig hellwach. »Wie bei Van Gogh«, sagte sie. »Van Gou«, sprach sie es aus. »Ich kann es nicht ausstehen, wenn die Leute ›Van Go-ch-ch-ch‹ sagen.« Sie übertrieb die gutturale holländische Aussprache. »Ich weiß, es ist richtig, aber es klingt eklig, und außerdem … wen interessiert’s?«
    »Ja, wen interessiert’s, ob man ein Banause ist?« Phil tat seine eigene Bemerkung mit einem Achselzucken ab, und Enrique war sich nicht sicher, ob er es wirklich so beleidigend meinte. Immerhin hatte er eine abfällige Bemerkung über ihn und Margaret gemacht. Er hoffte, dass Phil sich Margaret gegenüber gehässig zeigen wollte. So wie er überzeugt war, dass keine Frau einen knausrigen Mann leiden konnte, glaubte er auch, dass männliche Arroganz Frauen abstieß – kurzum, er war naiv.
    »Vielleicht hat Van Go-ch-ch-ch ja deshalb Selbstmord begangen«, sagte Enrique und bot Margaret zum dritten Mal sein reichlich analysiertes Präsent dar. »Konnte den Klang seines eigenen Namens nicht ertragen.«
    Jetzt war es Lily, die lachte – lauter als über die Clownsstiefel, verzeichnete Enrique erfreut. Phil, der Meister der Verächtlichkeit, gestand Enrique mit einem Nicken diesen Punkt zu. Margaret hatte gerade eine dieser Schweigepausen eingelegt, als ob hinter ihren blauen Augen mit einem Mal alle Aktivität eingefroren wäre, damit sie etwas gründlich auf sich wirken lassen konnte. »Das ist witzig«, erklärte sieschließlich ohne ein Anzeichen von Belustigung in Mimik oder Ton. Immerhin nahm sie endlich sein Präsent entgegen. Sie sah auf das Etikett und ging wieder in ihren begehbaren Kleiderschrank von Küche.
    Sam lüftete die wahre Quelle seines Zitats: »Das Ding an sich. Das ist ein Gedicht von Wallace Stevens.«
    »Ach!«, rief Lily aus, als wäre das etwas ungemein Erstaunliches. »Welches Gedicht?«, fragte sie.
    »Wallace Stevens. Dieser Arsch«, sagte Phil angewidert. Er nahm seine Tirade wieder auf, die Enriques Erscheinen offenbar unterbrochen hatte, und deklamierte mit lauter, vor Selbstvertrauen strotzender Tenorstimme: »Jedenfalls beweist dieser erlesene Wein, was ich eben gesagt habe. Wir sind alle auf dem Weg, brave kleine Vorstadtspießer zu werden. Guckt euch nur mal diese Liste hier an.« Phil deutete auf ein Faltblatt mit

Weitere Kostenlose Bücher