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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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dem Titel Cornell-Jahrgang 72 – drei Jahre danach . »Alle sind oder werden Anwälte oder, schlimmer noch, Ärzte –«
    »Moment mal«, protestierte Lily, wobei sie von ihrem Stuhl aufsprang, den Clown sich selbst überließ und zu Enrique trat, der froh war, dass sie es mit Phil aufnahm.
    Phil wartete ihren Einwand gar nicht erst ab. »Da sind sogar zwei BWLer dabei. Du lieber Gott. Was für ein Alptraum. BWLer –«
    »Was ist schlimm dran, Arzt zu sein?«, fiel ihm Lily ins Wort. »Willst du deinen Parka nicht ausziehen?«, fragte sie Enrique ohne Überleitung.
    Enrique zog den Parka aus und brachte den riesigen, weißen, handgestrickten Pullover zum Vorschein. Er wusste nicht, ob Margaret und Lily ihn wegen dieser Wollmassen so ansahen (oder ob es doch an dem Geruch nach ertrunkenem Tier lag). Aber er strich reflexartig den sich wölbenden Pullover glatt, damit sie nicht dachten, diese Ausbuchtung sei sein Bauch.
    Zum Glück lenkte der charismatische Phil ihre Aufmerksamkeit rasch wieder auf sich. »Ja, ja, ja, Lily, wir wissen alle von deinem Daddy, dem Landarzt«, sagte er und betrat die Küche, um den Margaux wieder an sich zu nehmen. Auf dem engen Raum konnte er es nicht vermeiden, Margaret zu streifen, was er ohne die geringste Spur der Verlegenheit tat, in die eine solche Berührung Enrique gestürzt hätte. Phil presste seine Hüfte unverhohlen gegen ihre, während er eine Schublade aufzog und in dem Besteck herumkramte. »Wo ist dein Korkenzieher? Ich will diese Flasche hier aufmachen. Ich brauche was zu trinken.«
    »Du hast doch schon was getrunken«, sagte Margaret grinsend.
    »Dann bin ich eben Alkoholiker. Besser als auf Acid.« Er stieß sie spielerisch mit der Hüfte an. »Rutsch mal. Ist er in dieser Schublade?«
    »Ich gebe ihn dir!«, rief Margaret, lachte aber entzückt. In Enriques Augen führten die beiden sich ähnlich kokett auf wie Robert Redford und Jane Fonda in Barfuß im Park , einer ideologisch peinlichen, sexistischen Liebeskomödie von Neil Simon, die er mit schlechtem Gewissen mehrmals als Fernseh-Spätfilm geguckt hatte. Nur dass der dunkelhaarige Phil einen überzeugenderen romantischen Helden gab als Amerikas bestaussehender blonder Filmstar. Und während Enrique ihr intimes Geplänkel beobachtete – sie streckte Phil einen Korkenzieher hin und hielt ihn neckisch fest, als er ihn nehmen wollte –, kam ihm der finstere Verdacht, dass dieser arrogante Schnösel es bereits geschafft hatte, der munteren Köchin unter die Schürze zu gehen. Eine schreckliche Vorstellung, zudem stellte sich die bange Frage: Waren die beiden ein Paar? Hatte er die ganze Situation missverstanden? War das hier tatsächlich ein Waisendinner, veranstaltet von einer Frau mit einem kompletten Leben – war dieser Abend wirklich ein Akt des Mitleids und der Nächstenliebefür verlorene Seelen wie ihn, Männer, die keine Liebe in ihrem Leben hatten? Schließlich hatte Bernard nie behauptet, dass Margaret ungebunden sei, ja er hatte es im Gegenteil immer so hingestellt, als ob alle Männer in Cornell sie begehrt hätten. Er hatte gesagt, dass sie sehr wählerisch sei, aber das hieß ja noch nicht, dass sie alle diese Männer hier abgewiesen hatte, und schon gar nicht, dass sie, Gott bewahre, Jungfrau war. Enrique war immer davon ausgegangen, dass Bernards Auslassungen darüber, wie unnahbar Margaret war, eigentlich das Eingeständnis waren, dass sie den einzigen Cornell-Kommilitonen abgewiesen hatte, der für Bernard zählte – ihn selbst.
    Enriques Laune besserte sich auch nicht dadurch, dass jetzt der Clown herübergelatscht kam und mit einem kinnlosen Grinsen »Ich bin Sam Ackerman« sagte. »Du bist Enrique Sabas, ich weiß. Bernard gibt ständig mit dir an.« Enrique ließ sich nicht anmerken, wie überrascht er war, sondern nickte nur, weil in Sams Art trotz der scheinbaren Freundlichkeit etwas Herablassendes lag, ein Eindruck, der sich dadurch verstärkte, dass Sam mit seinen eins fünfundneunzig buchstäblich auf Enrique herabsah. Das war der Todesstoß für Enriques fragiles Selbstwertgefühl: Er war noch nicht mal der größte Pfau im Raum.
    Enrique verfiel in ein düsteres, mürrisches Schweigen, während Phil seinen Monolog auch dann nicht unterbrach, als die letzten drei Gäste eintrafen. Zwei von ihnen waren Männer, der eine klein, pummelig und freundlich, wenn auch still und unsicher, der andere war ein ruhiger Typ, schlank wie Enrique, aber nicht ganz so groß und von Kopf bis Fuß in

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