Glückliche Ehe
Monaten, selbst verwirrt und panisch, die Nachricht telefonisch übermittelt hatte. Aber er hatte es ihnen immer übelgenommen, dass sie ihm nicht helfen konnten, Margaret zu trösten, dass sie außer in finanzieller Hinsicht zu nichts zu gebrauchen waren. Und doch war ihr Geld wichtig gewesen, in der Welt der Krankheit noch wichtiger als im normalen Leben und auf bestimmte Weise so tröstlich wie Liebe. Immerhin verlangten sie, im Gegensatz zu Enriques Mutter, nicht auch noch von ihm, dass er sie tröstete.
Enrique wusste, dass Dorothy und Leonard ihn nie wirklich verstehen würden. So wie er sie nicht wirklich verstand oder vielmehr nicht verstehen konnte, wie sie so lange gelebt, so viel erfahren, so viel gesehen haben konnten und doch auf Gefühle immer noch reagierten, als wären sie funkelnagelneue Erwerbungen, die nicht in den Raum passten, für den sie gekauft worden waren. Enrique hatte akzeptiert, dass er generell ein komischer Vogel war, erst recht aber für so reservierte, vorsichtige und praktische Menschen wie Dorothy und Leonard. Er hatte gemerkt, wie es sie überraschte, dass er sich so hingebungsvoll um ihre kranke Tochter kümmerte. Offenbar hatten sie seine Gefühle für Margaret vorher unterschätzt. Vielleicht hatten sie ja immer geglaubt, es sei für ihn eine Vernunft- und keine Liebesheirat gewesen: Margaret, die aus einem stabilen, wohlhabenden Elternhaus kam, während seine Eltern geschieden, rücksichtslose mit Geldproblemen kämpfende Nervenbündel waren. Margaret, die ihre Arbeit aufgegeben hatte, um seine Söhne großzuziehen, und nur noch gelegentlich malte, so dass sie ihm die Rolle des »Künstlers« in der Familie überließ. Vielleicht hatten sie ja geglaubt, es würde ihm schwerfallen, dass nun siean erster Stelle stand. Vielleicht hatten sie ja nicht begriffen, dass sie für ihn schon lange an erster Stelle gestanden hatte, dass sie die Heimat seines Herzens und der Anker seines Denkens war und dass der Kampf darum, sie am Leben zu erhalten, unerlässlich für die Erhaltung seiner eigenen Seele war. Hier, in diesem Krankenhauszimmer, ohne Hoffnung und befangen schweigend, hatten sie, die Menschen, die Margaret am innigsten liebten, etwas so Fundamentales gemeinsam, dass Enrique zum ersten Mal – anders als bei den leeren Phrasen der Hochzeitsreden – diese einstigen Fremden jetzt wirklich als seine Familie empfand.
In diesem neuen Gefühl der Verbundenheit verstand er Leonard nur Minuten später so falsch wie nie zuvor. Als Margaret erklärte, sie müsse ins Bad, erbot sich gegen ihre Gewohnheiten Dorothy, ihr aus dem Bett zu helfen, was bedeutete, die verschiedenen Beutel an den Tropfständer zu hängen – keine angenehme Aufgabe. Margaret willigte ein, was ebenfalls untypisch war. Leonard wurde auf den Flur hinausgeschickt, vorgeblich, um ihm den Anblick seiner Tochter in unschicklicher Bekleidung zu ersparen. Mit einer Kopfbewegung bedeutete Margaret Enrique, ihrem Vater nach draußen zu folgen; ihm war klar, dass sie den außergewöhnlichen pflegerischen Einsatz ihrer Mutter honorieren wollte. Nach der Operation und in den harten Phasen der Chemotherapie hatte Margaret alle Hilfsangebote von Dorothys Seite ausgeschlagen. Sie hatte es ihrer Mutter ersparen wollen, sie leiden zu sehen, und gleichzeitig hatte sie sich selbst die Anstrengung erspart, sich gegen Dorothys ängstliches Bestreben, jede Situation zu planen und zu kontrollieren, wehren zu müssen. »Ich habe ja Puff. Ich habe, was ich brauche«, hatte sie immer wieder erklärt. »Und er kann es verkraften, mein armer Liebling, er ist so stark wie ein Ochse.« Sie idealisierte und bemitleidete ihn zugleich.
Als er Leonard, der mit gebeugtem Rücken und imTempo einer Schildkröte in die teppichbodenstille Eleganz des neunzehnten Stocks hinaus folgte, dachte Enrique belustigt, dass er für den Moment in das Rollenschema der Männergeneration vor ihm versetzt worden war – dass er hinausging und die wichtigen Dinge der Welt erörterte, während Urinbeutel und beschmutzte Nachthemden von Frauen gehandhabt wurden. Als sie außer Hörweite waren, drehte sich Leonard zu ihm um, wobei er leicht ins Stolpern kam und nach Enriques Unterarm griff, um sich abzufangen. Seine ernste Miene mit den herabgezogenen Mundwinkeln und der eindringliche Blick signalisierten, dass er etwas Wichtiges ansprechen wollte. Das konnte nur heißen: etwas Finanzielles. Enrique befürchtete sofort, dass es um ihre Wohnung ging.
Vor achtzehn
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