Glückliche Ehe
Feiertage versammelt. Obwohl Dorothy und Leonard die Hälfte der Zeit in Great Neck wohnten, gerade mal eine halbe Stunde entfernt, sah man sich ganze zweimal im Jahr zum Essen, und das immer mit einer Vorankündigungsfrist von mindestens einem Monat. Mit seinem Vater hatte Enrique, seit er Kinder hatte, täglich geredet und mit seiner Mutter mehrmals die Woche. Margaret sprach manchmal einen ganzen Monat nicht mit ihrer Mutter und mit Leonard noch viel länger. Zudem war die Kommunikation sorgsam inszeniert. Margaret betrieb ihren Eltern gegenüber eine Informationspolitik wie das Weiße Haus gegenüber dem amerikanischen Volk: beunruhigende Details und mögliche Fehlschläge wurden grundsätzlich ausgelassen.
Die grundverschiedene Funktionsweise der beiden Familien war Enrique in Fleisch und Blut übergegangen. Er stellte sich darauf ein und blieb hinter Margaret in Deckung – es passte ihr nie, wenn er etwas direkt mit ihren Eltern abmachte. »Entschuldige«, sagte er. »Tut mir leid, war ein Missverständnis.« Er schloss die Augen; einen Moment langschwankten seine Beine, und er hatte das Gefühl, durch den Teppich zu sinken. Er machte die Augen wieder auf, um sich zu fangen, und sah, dass Leonards Gesichtsausdruck sich geändert hatte – er blickte verwundert und ein wenig besorgt. »Äh, also«, sagte Enrique hastig, »das mit der Beerdigung weiß ich nicht. Ich hab’s noch nicht –« Er wollte sagen »mit Margaret besprochen«, ein Argument, das ihm jetzt, wo es ihm einfiel, naheliegend und absurd zugleich schien.
Leonard fasste ihn am Handgelenk und schüttelte wieder seinen Arm. »Wir müssen nicht jetzt darüber reden. Vergiss es. Wir besprechen es später.«
Es war klar, dass er Margaret von dem Gespräch erzählen würde, das war die Grundregel ihrer Ehe. Als Dorothy und Leonard gegangen waren und Margaret die Hospizsozialarbeiterin erwartete, die mit ihr die Logistik ihres Sterbens im eigenen Bett erörtern sollte, fragte sie: »Worüber hat mein Vater mit dir geredet?« Ihr Ton war sanft und leise und doch so selbstsicher wie der eines Generals, der einen umfassenden Rapport von seinem Stabschef möchte.
Pflichtschuldig berichtete er ihr von Leonards Vorschlag mit der Synagoge von Great Neck, dem Rabbi und dem Familiengrab in Jersey. Doch erstmals in ihrer Ehe verschwieg er ihr absichtlich ein Detail aus dem Gespräch mit ihren Eltern – seinen Fauxpas mit der Wohnung. Natürlich würde es sie verletzen, wenn er über seine Zukunft ohne sie nachdachte, glaubte er. Er hatte zwar gelesen, dass auch das Gegenteil der Fall sein konnte, in einem Artikel darüber, wie man mit einem sterbenden geliebten Menschen reden sollte, verfasst von einer Frau in Margarets Alter, die Brustkrebs im Endstadium hatte und erklärte, sie wolle wissen, was aus ihren Kindern, ihrem Mann und ihren Freunden würde, wenn sie nicht mehr da wäre. Dadurch habe sie das Gefühl, ihnen etwas für die Zukunft mitgeben zu können. Oder vielleicht, spekulierte die Verfasserin, wolle sie auch nur wissen, dasssie durch ihren Tod nicht das Leben ihrer Lieben zerstöre. Enrique glaubte nicht, dass seine Frau über eine Zukunft reden wollte, die sie nicht mehr mitbekommen würde. Margaret war ein Sandwichkind und neidisch auf die Erlebnisse anderer. Und sie brauchte Kontrolle, insbesondere über Enrique und ihre Söhne. Margaret zu zwingen, sich ihre Liebsten in der Welt vorzustellen, ohne dass sie da war, um sie davon abzuhalten, Fehler zu machen – das wäre für sie Folter.
Enrique tat sein Möglichstes, um Margaret das Gefühl zu geben, dass ihr Job als Mutter erfolgreich vollbracht war. Hilfreich dabei war die Tradition der Cohens, die emotionale Gängelung von Kindern aufzugeben, sobald diese aufs College gingen. Leonard und Dorothy gingen davon aus, dass allenfalls ein echter Notfall noch elterliche Intervention erforderte, wenn ein Kind erst einmal auf dem College war, und beschränkten sich darauf, das Studium zu finanzieren und Berichte über Erfolge jedweder Art entgegenzunehmen. Greg, Margarets und Enriques älterer Sohn, war schon weit über das Alter hinaus, in dem die Cohens ihre Küken für gewöhnlich aus dem emotionalen Nest stießen, und Max, der demnächst die Highschool abschließen würde, hatte es beinah erreicht. Obwohl Margarets Verhältnis zu ihren Kindern ganz anders war, hatte auch sie ihrem älteren Sohn gegenüber auf ebendiese Familientradition – sich zu distanzieren nämlich – zurückgegriffen,
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