Glückliche Ehe
Erfolg gehabt. Er hatte seinen siebten Roman zu einem Drehbuch umgearbeitet, das dann einer der begabtesten Regisseure der Welt verfilmte, und das wiederum hatte andere lukrative Drehbuch-Deals und vier weitere Verfilmungen nach sich gezogen. Trotz des steilen Anstiegs der New Yorker Immobilienpreise hätte er jetzt Dorothy und Leonard die Wohnung für die rund zwei Millionen, die sie am Markt wert war, abkaufen können, auch wenn es für ihn bedeutet hätte, seine sämtlichen Konten zu plündern und eine beträchtlicheHypothek aufzunehmen. Er hatte Margaret vorgeschlagen, ihren Eltern ein Kaufangebot zu machen. Sie hatte wieder erklärt: »Nein, das ist mein Erbe. Es betrifft dich letztlich nicht, Puff. Sie lassen es mir jetzt schon zukommen. Auf ihre Art.«
Vor Margarets unheilbarer Krankheit hatte das alles Enrique nicht sonderlich beschäftigt, obwohl ihm der psychologische Aspekt durchaus bewusst gewesen war: die »Infantilisierung«, die es für zwei erwachsene Menschen bedeutete, Mieter ihrer Eltern respektive Schwiegereltern zu sein. In den acht Monaten seit Margarets zweitem Rezidiv war ihm allerdings schon durch den Kopf gegangen, dass er als Witwer in einer Wohnung leben würde, die den Eltern seiner verstorbenen Frau gehörte.
Er wusste aber nicht, wie er aus diesem Arrangement finden sollte, das so ziemlich jedes mögliche Ende ihrer Ehe antizipiert hatte, nur nicht das, das jetzt eintrat. Er konnte nicht einfach ausziehen. Max würde im Herbst aufs College gehen, nur acht Wochen nach dem Tod seiner Mutter. Er würde jedes Jahr fünf Monate nach Hause kommen. Er hatte sein Leben lang in dieser Wohnung gewohnt. Er würde jetzt seine Mutter verlieren. Sollte Enrique ihm auch noch sein Zuhause nehmen?
Enrique konnte anbieten, seine gesamten Ersparnisse zusammenzukratzen, um die Wohnung zu kaufen, aber wegen Margarets Krankheit hatte er die letzten drei Jahre kaum gearbeitet, und er hatte gerade die fünfzig erreicht, das Alter, das für die meisten Drehbuchautoren einen rapiden Einkommensrückgang bedeutete. Seine Karriere als Romancier war immer schon wacklig gewesen und verhieß nicht gerade das große Geld. Margarets Erbteil, ob nun die Wohnung oder Vermögen, würde direkt an seine Söhne gehen. Enrique wusste, dass Leonard und Dorothy, ganz gleich, was er fühlte oder sagte, einem fünfzigjährigen Witwer unterstellen würden, dass er wieder heiratete. Ihr Zynismus sowie dieImperative der Evolution würden es ihnen gebieten, ihr Geld unter Umgehung seiner Person direkt ihrem eigenen Fleisch und Blut zukommen zu lassen. Und Enrique wollte es auch so. Er wollte, würde er sich je wieder verlieben, seiner neuen Frau das Recht zugestehen können, in ihrer Liebe genauso absolut zu sein wie Margaret und von ihm zu erwarten, dass er für sie sorgte. Die Rechte an seinen Büchern und den Büchern seiner Eltern sowie das Haus in Maine, das er und Margaret gemeinsam gekauft und ausgebaut hatten, würde er seinen Söhnen hinterlassen. Dass dieses Erbe in Dollars nicht viel wert war, würde der Reichtum ihrer Großeltern kompensieren. Die Vorstellung, sein ganzes Geld in eine Dreizimmerwohnung zu stecken, um für Max eine Illusion aufrechtzuerhalten, bedrückte Enrique. Der finanzielle Druck lastete wie ein riesiger Stein auf seinen Schultern. Konnte er das überhaupt schaffen, jahrelang? Diese Frage stellte er sich jedoch nur ein paar bestürzte Sekunden lang, denn sie basierte auf einer Annahme, die, auch wenn sie sich demnächst bewahrheiten würde, immer noch irreal schien. Doch in seinen Gedanken hatte das Leben, das nach diesen nächsten zwei Wochen mit Margaret kommen würde, weder Form noch Ton. Statt sich vorzustellen, wie er obdachlos oder bankrott wäre, dachte Enrique jetzt gar nicht mehr an die Zukunft.
Dabei hatte er die meiste Zeit seines Lebens damit verbracht, an die Zukunft zu denken: Die Vergangenheit hatte er immer hinter sich lassen, die Gegenwart möglichst schnell besser gestalten wollen. Margarets Krankheit hatte ihm gezeigt, dass er mit so einer Haltung sein Leben vergeudete. Aber er wusste, Dorothy und Leonard würden diese Lektion nie lernen, sie waren ängstliche Geschöpfe, die trotz zahlreicher gegenteiliger Beweise davon überzeugt waren, dass jedes Unglück fernblieb, wenn man nur plante und vorsichtig war.
Im Augenblick, auf dem Krankenhausflur, hielt Leonard sich an Enriques Arm fest. »Hör zu«, sagte er ernst. »Jetzt, wo sie beschlossen hat loszulassen – und wir es
Weitere Kostenlose Bücher