Glückliche Ehe
akzeptieren – ich es akzeptiere – wenn ich ihr zuhöre, verstehe ich es – also jetzt, wo es sehr schnell gehen wird, gilt es, Dinge zu besprechen, schwierige Dinge. Aber sie müssen jetzt besprochen werden. Und in einem werde ich eisern sein.« Als Enrique in seiner Angst vor einer Zukunft ohne seine Frau diese drohend klingenden Sätze hörte, ging er davon aus, dass Leonard ihn vor die Wahl stellen wollte, die Wohnung zu kaufen oder auszuziehen.
Enrique unterbrach ihn. »Schon klar, Leonard, ich weiß, ich muss mich wegen der Wohnung entscheiden. Ich will nicht ausziehen, bevor Max mit dem College fertig ist. Die Wohnung ist sein Zuhause, und ich will nicht, dass er seine Mutter und alles auf einmal verliert.« Zwar zogen sich Leonards dicke, wellige Augenbrauen irritiert zusammen, aber er nickte langsam, als verstünde er, also fuhr Enrique fort: »Ich kann die Wohnung kaufen, aber es hieße, alles hineinzustecken, was ich habe, und das macht mir Angst. Wenn ich sie mieten könnte, bis Max seinen Collegeabschluss hat, würde ich ausziehen –«
Er hielt inne, weil Leonard seinen Arm fester packte und unwirsch schüttelte. »Wovon redest du? Du wirst nicht ausziehen. Wir werden die Wohnung nicht verkaufen. Du bist unser Sohn. Was ist denn mit dir los? Bist du verrückt?«
Einen Moment war Enrique zu verblüfft, um irgendetwas zu sagen. Er selbst hatte ja sich eben noch Leonard nahe gefühlt, war aber gar nicht auf die Idee gekommen, dass das auf Gegenseitigkeit beruhen könnte. Sie waren in so vielem verschieden, und Leonard war überhaupt nicht wie Enriques Vater; es war nicht möglich, dass Leonard seine ganze Vorsicht und seinen Pragmatismus aufgab, weil er sich Enrique einen kurzen Augenblick lang verbunden gefühlthatte. Also stolperte Enrique denselben falschen Weg weiter: »Na ja, es ist eure Wohnung … und ich kann dort nicht ewig weiterwohnen –«
»Schluss jetzt!« Leonard blickte zur Tür des Krankenhauszimmers zurück, als könnte ihm Dorothy helfen, Enrique zum Schweigen zu bringen. »Ich spreche von der Beerdigung. Margarets Beerdigung«, sagte er so leise, verschwörerisch und verschämt, als rührte er an ein sexuelles Tabu. »Ich wollte sagen, dass wir alles veranlassen werden. In unserem Familiengrab ist noch Platz, und wenn du nichts dagegen hast, möchten wir unsere Synagoge und unseren Rabbi beauftragen. Er macht so etwas sehr gut, und er kennt Margaret –« Er hielt abrupt inne und sah Enrique konsterniert an. »Wie kommst du auf die Sache mit der Wohnung? Bist du verrückt? Ich verstehe dich nicht«, sagte er und tat etwas für einen emotional so verhaltenen Mann wie ihn Unerwartetes. Er zog Enrique am Arm ein Stück herab und küsste ihn dann auf die Wange. »Du bist unser Sohn«, sagte er und brachte den nächsten Satz nur mit Mühe zu Ende. »Red nicht solchen Unsinn.«
Enrique war betroffen. Er hatte geglaubt, es ginge um Dorothys und Leonards finanzielle Interessen, und hatte mit einer Lösung aufwarten wollen, die allen Beteiligten gerecht wurde. Stattdessen hatte er diesen gebrochenen alten Mann zutiefst beleidigt, dessen traurige Augen fast überliefen, so sehr schmerzte ihn das Sterben seiner einzigen Tochter. Einen Mann, der ihm nach wie vor so fremd war, dass seine Sorgen – wer Margarets Beerdigung vornehmen und wo sie stattfinden würde – Enrique noch gar nicht in den Sinn gekommen waren.
In dieser Hinsicht hätten die Sabases und die Cohens gar nicht verschiedener sein können. Rituale – religiöser wie sonstiger Art – hatten bei den Sabases nie eine Rolle gespielt. Gelegentlich hatten seine Eltern in einem Anfall vonSentimentalität zu hoch gegriffen und ein Großfamilientreffen zu inszenieren versucht, das dann unweigerlich in Streit und Groll endete. Familientradition war den Sabases so fremd, dass Margaret die Beerdigung von Enriques Vater organisiert hatte. Sie war für solche Aufgaben gemacht. Bei den Cohens standen formelle Ereignisse nicht nur im Zentrum des Familienlebens, sie waren das Familienleben. Man traf sich zu den kalendarisch festgelegten Anlässen – Passah, Geburtstag, Muttertag, Vatertag, Jom Kippur, Thanksgiving – und sonst nie. Während die wenigen wirklich geglückten Sabas-Treffen spontan zustande kamen (weil Leute zufällig am selben Abend in derselben Stadt waren und nichts Besseres vorhatten), hatten sich die Cohens in den neunundzwanzig Jahren, die Enrique mit Margaret verbracht hatte, kein einziges Mal außerhalb der
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