Glückliche Ehe
als sie krank geworden war, und stärker noch nach ihrem ersten Rezidiv. »Es tut zu weh«, hatte sie Enrique eines Abends zugeflüstert. »Ich kann ihm nicht helfen, ich habe nicht die Kraft«, hatte sie gestanden, beschämt, dass sie das Telefon an ihren Mann weiterreichen musste, damit er sich Gregs Klagen über das Studium im Allgemeinen und den akuten Ärger wegen des Verhaltens seiner Freundin im Besonderen anhörte. Margaret, die mit Max immer ungeduldig gewesen war, wenn er sich weigerte, sich in Highschoolfächern, die ihnlangweilten, anzustrengen, war unerträglich frustriert gewesen, als ihr klar geworden war, dass sie bald nicht einmal mehr in der Lage sein würde, ihm deshalb vergeblich die Leviten zu lesen. Enrique wählte aus, was sie über die Probleme ihrer Söhne erfahren sollte, und hob vor allem ihre Reifeschritte hervor.
Enrique war froh, diese Zensur vornehmen zu können, vor allem, als er sah, wie es Margaret aufregte, dass auch jetzt noch größere Nähe zwischen ihr und ihren Eltern einfach nicht möglich war. Margaret hasste es, Pläne zu machen. Enrique hatte anfangs gedacht, sie rebelliere gegen ihre Eltern, die alles minutiös planten. Er war fest davon überzeugt gewesen, dass Dorothys ständiges Generve – »Was macht Greg im Sommer? Sucht er sich einen Job?«, gefragt im November, oder »Ich möchte, dass ihr über die Weihnachtswoche nach Florida kommt«, verkündet im März – ihre Tochter in eine ebenso extreme Antihaltung getrieben hatte. Wenn Enrique im November wissen wollte, was sie in den Weihnachtsferien machen sollten, oder selbst etwas vorschlug, fauchte Margaret: »Frag mich das doch nicht jetzt schon«, als wären diese Überlegungen absurd verfrüht.
Er hatte es Dorothy angekreidet, dass Margaret so war, bis er dann nach etlichen Ehejahren begriffen hatte, dass seine Frau das Vorausplanen nicht nur vermied, um sich von ihrer Mutter zu unterscheiden – es machte sie wirklich am glücklichsten, dem Zufall, dem Unerwarteten und der Improvisation Raum zu lassen. Wenn sie sich mit dem Auto verfuhren, fand sie das lustig, wenn sich eine Last-Minute-Buchung für ein aufregendes Reiseziel ergab und sie Hals über Kopf aufbrachen, war Margaret nicht selbstzufrieden, weil sich ihre Spontaneität ausgezahlt hatte: Sie war einfach nur entzückt über die unvorhergesehenen Ereignisse. Sie war froh, dass ihr Zielort Überraschungen bereithielt, weil der Reise keine langen Recherchen vorangegangen waren,dass nichts antizipiert worden war und man somit auch nicht enttäuscht sein konnte. Dorothy, die plante, Margaret, die Improvisationskünstlerin: ein ewiges Tauziehen zwischen Mutter und Tochter. Dorothy, weil sie die Mutter war, gewann fast immer. Aber der Preis dafür war die Nähe zu ihrer Tochter.
In einem weniger schmerzlichen Kontext hätte Enrique die Ironie zu goutieren gewusst, dass die Eltern, die eben erst die Entscheidung ihrer Tochter, sterben zu wollen, akzeptieren mussten, im nächsten Moment bereits die Beerdigung organisieren und ihre Synagoge, ihren Rabbi und ihr Familiengrab ins Spiel brachten. Es war die letzte Schlacht zwischen Margarets abenteuerlustiger Künstlernatur und dem Bedürfnis ihrer Eltern nach Ordnung und Sicherheit. Und er, Enrique, hielt sich ebenfalls an seine Rolle, indem er Margaret als loyaler Adjutant in ihrem passiven Widerstand gegen den Kolonialismus ihrer Eltern deren Pläne hinterbrachte. Noch während er sprach, bereute er, dass er sich auf sie verlassen und das Ganze nicht selbst mit ihren Eltern abgemacht hatte, aber die traurige Wahrheit war, dass er sich gar nicht imstande sah, Margarets Beerdigung ohne ihre Hilfe zu organisieren. Sie lag im Sterben, aber er blieb ihr ergebener Jünger und baute darauf, dass sie der Mahatma Ghandi war, der sie beide gewaltlos von der Unterdrückung durch zwei achtzigjährige Juden aus Great Neck befreien würde.
Als er ihr von den Vorschlägen ihres Vaters zu ihrer Beerdigung erzählte, verzog sie gequält das Gesicht. Er kam sich wie ein Idiot vor. »Oh, nein«, stöhnte sie aufrichtig verzweifelt. Jetzt fühlte er sich nicht mehr nur dumm, sondern auch noch grausam. »Vergiss es!«, versuchte er zurückzurudern. »Wir kriegen das schon hin –«
»Nein, nein!«, rief sie aus. »Ich will drüber reden. Ich will nicht, dass dieser alberne Mensch meine Beerdigungvornimmt. Ich will Rabbi Jeff.« Sie hatte Vertrauen zu einem exzentrischen, buddhistisch angehauchten Rabbi gefasst, der am Sabbat und
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